Portraits


	
						
	
	

				
			
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Zehn Jahre Craft Bier-Bewegung in Deutschland. Einer der Pioniere: Dr. Marc Rauschmann, promovierter Braumeister und Geschäftsführer von BraufactuM. Im Interview mit GradPlato sprach er über die Anfänge von Craft Bier in Deutschland, die Entwicklung auf dem Markt und darüber, was Craft Brauereien leisten müssen, um sich weiterhin erfolgreich in Gastronomie und Handel zu behaupten.

 

°P: Im Jahr 2010 sind Sie auf Weltreise in Sachen Craft Bier gegangen und haben unter anderem Belgien, Italien, die USA und Japan besucht. Was war denn die Idee, die hinter dieser Reise steckte?

Dr. Marc Rauschmann: Wir haben ja nicht eine einzige große Weltreise unternommen, sondern waren auf mehreren Reisen im Ausland – immer wieder für mehrere Tage – unterwegs. Wieder zurück in Deutschland haben wir unsere Erfahrungen zusammengefasst und darauf basierend die nächsten Reisen geplant. Das Ziel war, zunächst zu sehen, wie das Thema Bierspezialitäten in anderen Ländern gespielt wird. Einerseits haben wir das natürlich aus Sicht der Brauerei betrachtet. Andererseits interessierte uns insbesondere auch die Konsumentenansprache, die Präsentation der Biere in der Gastronomie bzw. Handel und ganz generell, was eigentlich gerade rund um das Thema Bier in anderen Ländern passiert. Dabei faszinierte uns vor allem die Vielfalt, die bereits in anderen Ländern vorhanden war, und gleichzeitig die ungewöhnlichen Geschmackserlebnisse. Uns war schnell klar, dass wir diese Experimentierfreudigkeit insbesondere von amerikanischen Craft Brauern mit deutscher Brauhandwerkskunst verbinden möchten. Bereits 2010 konnten wir dann mit der Idee „Craft auf Deutsche Art“ neun Biere unter dem Namen „BraufactuM“ präsentieren.

 

°P: Gab es denn im Jahr 2010 bereits einen Markt für Craft Bier in Deutschland?

Dr. Rauschmann: Nein, dieser Markt war in Deutschland noch überhaupt nicht existent. Selbst den Begriff selber oder Stile wie IPA, Pale Ale oder Barley Wine waren völlig unbekannt. Diese Situation war ja total verrückt in Zeiten der Globalisierung, in denen alles vollständig vernetzt ist. Ausgehend von den USA ging die Craft Bier-Welle um die Welt, nur in Deutschland war 2010 noch nichts davon angekommen.

 

°P: Ausgerechnet in Deutschland, dem Land der Brauereien und des Reinheitsgebots, konnte Craft Bier nicht landen?

Dr. Rauschmann: Vielleicht aber auch genau deswegen – in England, Belgien und Deutschland hat es etwas länger gedauert, bis die Craft Bier-Welle so richtig ankam. Und diese drei Länder lassen sich auch gut vergleichen: Hier gab es schon viele traditionelle und ganz eigene Bierstile. Deshalb war auch in keinem dieser drei Länder sozusagen die Not so groß. Und deswegen hat es hier auch länger gedauert, bis das erste Mal Craft Bier gebraut und vermarktet wurden. Anders als in den USA, Italien oder in Skandinavien.

In England wiederum gab es eine spezielle Situation. Dort gab es zwar eine frühe Welle von Heimbrauern, diese war aber eher geprägt von der Idee, Bier zu Hause möglichst günstig zu brauen. Nicht so sehr, um besondere, aromatische Biere herzustellen.

 

Deutsches Craft Bier: Verbindung aus amerikanischer Experimentierfreude und deutscher Handwerkskunst
Deutsches Craft Bier: Verbindung aus amerikanischer Experimentierfreude und deutscher Handwerkskunst

 

°P: Für Deutschland könnte man also zusammenfassen: Wir hatten schon immer Bierspezialitäten und eine große Biervielfalt. Dazu Gasthausbrauereien und traditionelle Handwerksbrauereien. Deswegen hatten die Deutschen nicht den Bedarf, ihre „Biersituation“ zu verbessern?

Dr. Rauschmann: Ja, oder wir haben in Deutschland die Bereicherung durch weitere Stile nicht erkannt. Daher brachten deutsche Brauer von ihren Auslandsreisen auch keine neuen Ideen mit und brauten keine neuen Stile. Vergleichen Sie das mal mit einem Koch, der besucht im Ausland andere Köche, Gastronomien bzw. geht über Märkte immer auf der Suche nach Inspiration. Von jeder Reise bringt er neue Ideen, neue Zubereitungsmethoden, neue Aromen wieder mit nach Hause. Die deutschen Brauer hatten das bisher leider nicht so gemacht und konnten dementsprechend zunächst mit dem Begriff Craft Bier und der damit verbundenen Philosophie nicht viel anfangen.

 

°P: Liegt aber vielleicht auch an dem englischen Begriff „Craft Beer“?

Dr. Rauschmann: Manche Brauer wollen den Begriff „Craft Bier“ vermeiden, das stimmt. Aber das ist ja noch so eine verrückte Sache: Deutschland ist eines der letzten Länder weltweit, das mit Craft Bier anfängt. Und jetzt stellen wir uns hin und sagen: „Der Begriff ist blöd.“ Ich finde, diese Diskussion ist eigentlich müßig. Es ist doch egal, wie man es nennt, letzten Endes geht es ums Bier. Wichtig wäre es, mehr durch tolle Biere Aufmerksamkeit auch international zu erzeugen als durch unnötige, rein deutsche Begriffsdefinitionen.

 

°P: Und wenn man einfach den Begriff ins Deutsche übersetzen würde?

Dr. Rauschmann: „Handwerk“ oder „Manufaktur“? Diese Begriffe werden bei uns ja bereits verwendet. Die Brauereien, die damals in den USA neu gegründet wurden, bzw. die aus dem Home Brewing und den ersten Microbreweries hervorgegangen sind, waren natürlich erst einmal sehr klein und haben handwerklich gebraut. Darin liegt aber grundsätzlich kein Mehrwert für den Konsumenten. Das Besondere lag darin, dass die US-amerikanischen Craft Brauereien für den US-Konsumenten bisher unbekannte, geschmacksintensivere Bierstile gebraut haben. Erfolgreich bis heute sind dann in erster Linie diejenigen, die dieses Bier in herausragender Qualität brauen und immer (auch nachdem sie entsprechend gewachsen sind) ihre Kreativität erhalten haben.

In Deutschland war es dagegen bis 2010 so, dass prinzipiell alle Brauereien – von den großen über die mittelständischen bis hin zu den kleinen, handwerklichen Gasthaus- und Familienbrauereien – ein ähnliches Spektrum an traditionellen Bierstilen gebraut haben: ein Lager, ein Pils, ein Kellerbier, ein Dunkles, zur Weihnachtszeit einen Bock und im Sommer ein Weizen.

Craft steht daher für eine neue Brauphilosophie, für neue, mutigere Biere, für die Kombination von Tradition mit Innovation und dafür, neue Wege zu gehen und über den Tellerrand zu schauen. Es steht für Biervielfalt und Geschmackserlebnisse und für die geistig unabhängigen Menschen dahinter.

 

°P: Wie ist der Begriff im Ursprungsland der Craft Bier-Bewegung, den USA, definiert?

Dr. Rauschmann: Die Definition von Craft Bier ist unabhängig vom Land generell schwierig, da sie selten nach objektiven Kriterien formuliert wird. Bestes Beispiel ist gerade die Brewers Association (BA), die Ende 2018 bereits zum dritten Mal die Kriterien angepasst hat. Hintergrund ist, dass der zweitgrößte amerikanische Craft Brewer, Boston Beer Company, aufgrund des Anstiegs an sonstigen alkoholischen Getränken wie „hard seltzer“ und „flavored malt beverages“ Gefahr lief, nicht mehr den Kriterien der BA als Craft Brewer zu genügen. Nachdem bereits bei der ersten Anpassung die Größe auf sechs Mio barrel (ca. sieben Mio hl) erhöht worden war und dann nach der letzten Änderung auch Brauereien zugelassen waren, deren Haupanteil an Bierausstoß „innovative brewing ingredients“ verwenden (womit u.a. Mais gemeint war), muss nunmehr bei den Kriterien der Produkte selber nur noch eine Braulizenz vorhanden sein und Bier gebraut werden.  

Das dritte Kriterium ist die Unabhängigkeit. Die Beteiligung eines anderen alkoholischen Getränke-Unternehmens, welches nicht selbst den Kriterien einer amerikanischen Craft Brewery genügt, muss unterhalb von 25 % liegen. Wenn dieses aber aus einem anderen Bereich stammen würde, gilt eine Brauerei trotz Mehrheitsbeteiligung immer noch als unabhängig und daher als Craft Brewery (Würde z.B. Coca Cola eine Brauerei zu 100 % gehören und „nur“ maximal sieben Mio hl Bier produzieren, würde diese als unabhängig und daher als Craft Brewery gelten). 

Ich habe  hierzu einen guten Beitrag  der amerikanischen Bierjournalisten Cat Wolinski auf der Seite Hop Take auf Vinepair gefunden. Cat hat am Ende ihre eigene Definition, die ich hier gerne zitiere, da hier die wesentlichen Punkte in den Vordergrund gestellt werden: „a company that makes good beer, is honest about its ingredients, puts quality first, and community at a close second. But no one can define craft beer, apparently. Not even the BA.”

 

°P: Kann man für Deutschland eine verbindliche Definition für Craft Brauereien finden? Oder anders gefragt: Welche Biere nimmt man nun in die Kategorie Craft Bier auf?

Dr. Rauschmann: In Deutschland ist die Definition noch schwieriger und eigentlich auch überflüssig. Es gibt aktuell über 1500 Brauereien. Viele dieser Brauereien erkennen inzwischen die Chancen, die sich auf dem Craft Bier-Markt bieten, und steigen hier mit einem oder mehreren Produkten ein. So verändert sich die Bierlandschaft hierzulande auch stark bei den bestehenden Brauereien. Dies ist eine sehr schöne Entwicklung, da die schon reiche deutsche Bierlandschaft durch spannende, neue Stile ergänzt wird. Wichtig ist dabei immer, inwieweit sich auch eine Brauerei für die Kategorie engagiert und z.B. über Seminare oder der Teilnahme an Festivals neue Konsumenten für Craft Bier gewinnt.

Auch wenn die Brewers Association ja wie oben erwähnt ihre Definition immer weiter aufgeweicht hat und das Bier selber bedauerlicherweise praktisch hierin keine Bedeutung findet, werden von der BA einige Konzeptbestandteile genannt, die auf die ursprüngliche Idee bezugnehmen. Hier wird unter anderem aufgeführt:  „The hallmark of craft beer and craft brewers is innovation. Craft brewers interpret historic styles with unique twists and develop new styles that have no precedent.” Ich denke, dass man damit eine ganz gute Einschätzung bekommt. Zudem macht dies deutlich, dass es keinen Bierstil gibt, der hier ausgeschlossen wird und dass es auf der anderen Seite um die innovative Interpretation alter oder der Entwicklung neuer Stile geht.

 

Die schon reiche deutsche Bierlandschaft wurde durch spannende, neue Stile ergänzt
Die schon reiche deutsche Bierlandschaft wurde durch spannende, neue Stile ergänzt

 

°P: Wie hat sich in Deutschland der Markt für Craft Bier in den letzten Jahren entwickelt?

Dr. Rauschmann: Der Handel hat Craft Bier zunächst sehr gut angenommen. Teilweise wurde die Regalfläche dabei etwas zu euphorisch aufgebaut. Der Verkauf konnte dann zunächst nicht in diesem Maß mithalten, besonders bei noch unbekannten Marken. Deswegen werden diese aufgebauten Flächen gerade wieder auf ein realistisches Maß zurückgefahren. Der Markt konsolidiert sich also gerade im Handel. Ich bin überzeugt, dass der Markt für Craft Bier weiterhin wachsen wird. Aber eben nicht mit der Dynamik, die sich der Handel – und vielleicht der eine oder andere Brauer – erhofft hat.

Letztendlich konzentriert sich der Handel dabei auf relevante Marken. Wir haben seit 2010 schrittweise unsere BraufactuM-Kühlschränke aufgebaut und haben damit im Handel eine hervorragende Sichtbarkeit und Bekanntheit mit kontinuierlichem Wachstum – unser Flagship-Bier Progusta verzeichnet immer noch zweistelliges Wachstum. Wir sind da als Marke sehr gut aufgestellt. Neben der Sichtbarkeit unterstreichen die BraufactuM-Kühlschränke unseren Anspruch auf perfekte Qualität bis zum Konsumenten.

 

°P: Wie sieht die Craft Bier-Situation in der Gastronomie aus?

Dr. Rauschmann: Der Handel war beim Thema Craft Bier erheblich schneller als die Gastronomie. Und das unterscheidet die Entwicklung in Deutschland zur Entwicklung in anderen Ländern, wie zum Beispiel den USA oder Italien: Hier erfolgte der „Markenaufbau“ der Marke Craft Bier nahezu ausschließlich über die Gastronomie – so, wie es bei den meisten Trends im Bereich Getränke der Fall ist. Das Thema Gin wäre unmöglich so erfolgreich geworden, wenn es nicht über Restaurants, Bars und Nightlife-Locations positioniert worden wäre. Aktuell sehen wir eine positive Entwicklung im Bereich der Gastronomie – wir sind davon überzeugt, dass dieser Weg nachhaltig zur erfolgreichen Etablierung von Craft Bier in Deutschland führt.

Aber warum ist Craft Bier in der deutschen Gastronomie so schlecht gestartet? Das hat mehrere Gründe – ein kritischer Punkt in der Gastronomie war gerade am Anfang die fehlende Kenntnis über Craft Bier: Was die Leute selber nicht kennen, das werden sie auch nicht erfolgreich verkaufen können. Die Schulung des Servicepersonals ist ein ganz wichtiger Punkt für alle Craft Bier-Brauer. Problematisch ist hier aber auch wieder die sehr hohe Fluktuation des Personals im Gastronomiebereich.

Außerdem wurden die Preisbildung in der deutschen Gastronomie anfangs oft über eine Multiplikation gefunden. Ein Wein für sechs EUR im Einkauf kostet zwischen 20 und 30 EUR im Verkauf. Wenn man beim Bier so kalkuliert, dann landet man schnell bei Preisen, die viele Kunden nicht verstehen können.

Und dann steht Bier immer noch oft auf der letzten Seite der Speisen- bzw. Getränkekarte: Das ist einfach eine sehr schlechte Sichtbarkeit. Es gab anfangs kaum gute Gastronomiekonzepte, in denen das Thema Bier im Vordergrund stand. Aber das hat sich seit einiger Zeit deutlich geändert. Über ganz Deutschland verteilt entstehen Craft Bier-Bars und Brauerei-Flagship-Konzepte. Das erste dieser Art war das ehemalige „Meisterstück“ in Berlin. Dieses Konzept ist damals schon aus einer Zusammenarbeit mit BraufactuM heraus entstanden. Wir konnten im vergangenen Jahr die Location am Hausvogteiplatz retten und unsere Gastronomiepartner betreiben dieses Objekt nun als BraufactuM Berlin am Hausvogteiplatz. Neben diesem hat BraufactuM noch zwei weitere Craft Bier-Hotspots in Berlin und Dresden, wo auch Craft Bier-Neulingen durch unsere Tasting Boards ein einfacher Einstieg in die Craft Bier-Welt geboten wird.

 

In der Gestronomie konnte sich Craft Bier im Gegensatz zum Handel zunächst nur langsam etablieren
In der Gastronomie konnte sich Craft Bier im Gegensatz zum Handel zunächst nur langsam etablieren

 

Weitere sehr bekannte Locations sind das Alte Mädchen in Hamburg und Maisel’s Liebesbier in Bayreuth sowie Brauerei-unabhängig das Naiv in Frankfurt. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von Hotspots, die das Thema Craft Bier und Biervielfalt in den Mittelpunkt stellen. Solche Gastronomiekonzepte sind wichtig, dort nehmen die Kunden die Marken, aber auch das Thema Craft Bier sehr intensiv wahr und haben Spaß an der Biervielfalt.

Die Gastronomie in Deutschland muss sich in diesem Bereich generell noch weiterentwickeln. In vielen Gaststätten gibt es eine sehr überschaubare Anzahl an Zapfhähnen. Aber auch die Anzahl an Flaschenbieren reißt es meistens nicht raus: Wenn man ein Bier bestellt, bekommt man eben das Bier, welches am Hahn ist. Hier muss es eindeutig eine größere Vielfalt geben, wie wir sie schon vom Wein kennen, vor allem im Bierland Deutschland.

 

Moderne Gastronomiekonzepte für Craft Bier - wichtig für den Spaß des Konsumenten an der Biervielfalt
Moderne Gastronomiekonzepte für Craft Bier – wichtig für den Spaß des Konsumenten an der Biervielfalt

 

°P: Aber eine steigende Anzahl von Zapfhähnen bedeutet doch auch eine größere Herausforderung für die Wirte. Mehrere Biere am Hahn bedeuten ja auch mehr Leitungen und mehr Fläche für die Kühlung.

Dr. Rauschmann: Ich rede ja nicht von flächendeckenden Konzepten wie in den USA, wo man 100 oder mehr Zapfhähne findet, sondern von zunächst einem oder zwei zusätzlichen Hähnen. Dann kann man auch mal ein IPA oder ein Pale Ale anbieten. Vielleicht entschließt sich dann doch mancher Gast: „Heute nehme ich mal das IPA.“ Aber zum Glück ändert sich das ja bereits langsam.

 

°P: Was müssen die Craft Brauereien tun, um weiterhin erfolgreich am Markt zu bestehen?

Dr. Rauschmann: Ich möchte dazu Peter Eichhorn, der unter anderem für Mixology schreibt, zitieren. Auf einer Podiumsdiskussion hat er einmal sehr schön gesagt: „Craft Bier ist dann in Deutschland angekommen, wenn der Konsument in der Lage ist, das nächste IPA nicht immer als Sensation zu betrachten, sondern auch erkennt, ob es ein gutes oder schlechtes ist.“ Einfach nur viel Hopfen in den Sudkessel oder Lagertank werfen kann jeder. Von daher gilt es auch die intensiven, hopfenaromatischen Biere mit der entsprechenden Qualität und vor allem Balance zu brauen.

Ein Musterbeispiel für eine sehr erfolgreiche Craft Brauerei ist Firestone Walker aus den USA. Es gibt aus meiner Sicht kaum bessere und ausgewogenere Sauerbiere oder fassgelagerte Biere. Langfristig erkennen das die Konsumenten und insbesondere auch die Bierfreaks. So kann man kontinuierlich das Renommee der Brauerei steigern, um sich mit seinen Bieren einen Namen zu machen. Aber nur mit solchen intensiven Bieren und Raritäten verkauft man keine großen Mengen.

Die mit Abstand größte Marke von Firestone wiederum ist das „805“, ein leichtes erfrischendes Ale. Wenn man aber solche „easy drinking“ Biere braut, muss man sein Handwerk auf jeden Fall verstehen. Je weniger Hopfen im Bier ist – das stellen übrigens gerade viele amerikanische Craft Brauer beim Pils fest –, desto weniger verzeiht das Produkt Fehler bei der Produktion.

Schließlich fordert gerade auch der Handel immer stärker die Zertifizierung von Betrieben. Das fängt schon bei einer gut dokumentierten Rückverfolgbarkeit an. Wenn eine Brauerei keine entsprechenden Konzepte zur Qualitätssicherung eingeführt hat, dann kann eine Reklamation schnell zum Krisenfall werden.

 

Essentiell für ein erfolgreiches Bestehen auf dem Markt: Qualitätssicherung
Essentiell für ein erfolgreiches Bestehen auf dem Markt: Qualitätssicherung

 

°P: Eine umfassende Dokumentation, Rückverfolgung von Rohstoffen und Chargen, Produktanalysen… das kostet ja enorm Zeit, das können vielleicht viele der kleinen Brauereien gar nicht leisten?

Dr. Rauschmann: Das ist für kleine Betriebe schwierig, das stimmt, trotzdem kann es ohne Qualitätskontrolle und Dokumentation auf Dauer nicht funktionieren. Natürlich sind die Produktqualität und die geschmackliche Stabilität essentiell, das steht ja außer Frage. Jeder Lebensmittelbetrieb – unabhängig von der Größe – muss ein HACCP-Konzept haben, da kommt am Ende keiner dran vorbei.

Ein anderes Thema: Um überhaupt vom Handel gelistet zu werden, muss man eine gewisse Professionalität an den Tag legen. Stammdaten, LMIV-konforme Deklaration, das sind bürokratische Themen, die nicht direkt etwas mit dem Bier selbst zu tun haben. Aber diese Standards werden vom Handel erwartet. Am Anfang kommt man vielleicht erst mal so durch, aber nicht dauerhaft.

 

°P: Sollten sich dann Start-up-Brauereien am besten gleich auf eine eigene Gastronomie konzentrieren?

Dr. Rauschmann: Ein kleines Start-up kann sicherlich mit einem eigenen Taproom sehr schnell Einnahmen generieren. Je nach Größe und Lage vielleicht nicht viel, aber für das Überleben zum Start ist es ein guter Beitrag, um sich dann zu etablieren und weiterzuentwickeln.

Die eigene Location ist sehr wichtig für die Markenbildung und das Erlebnis der Konsumenten, um an die BraufactuM Biere, aber auch generell an Craft Bier herangeführt zu werden. Wichtig ist es aber, neben der eigenen Gastronomie weitere Gastronomen für seine Biere zu gewinnen. Hierbei kann eine eigene Gastronomie natürlich wie bei der Gewinnung neuer Konsumenten helfen. 

 

°P: Herr Dr. Rauschmann, wenn Sie nochmal starten würden, wie würden Sie heute in den Craft Bier-Markt einsteigen?

Dr. Rauschmann: Ich sehe die Gastronomie und insbesondere auch die eigene als extrem wichtig an. In diesem Bereich würde ich mich vielleicht früher und noch stärker engagieren. Was ich keinesfalls erwartet hätte ist, dass internationale Biere, wie wir sie auch anfangs importiert haben, so schnell an Bedeutung verlieren würden. Diese importierten Craft Biere waren zum Start sehr wichtig für die Wahrnehmung, die wir mit dem Thema Craft bekommen haben. Aus heutiger Sicht würde ich mich auch da noch früher und noch stärker auf eigene Konzepte fokussieren.

Heute haben wir mit unserem Sortiment aus 18 eigenen Craft Bieren eine etablierte Craft Bier-Marke im deutschen Einzelhandel und in der Gastronomie. Die Biere kann man zudem mit Hilfe von unserem Tasting-Board oder verschiedenen Kursen in unseren drei BraufactuM Restaurants erleben. Weiterhin exportieren wir BraufactuM Craft Biere inzwischen in über 20 Länder. Ich denke, wir sind weiterhin auf einem sehr guten Weg.

 

°P: Herzlichen Dank für das Gespräch!