Der Dampf-Theo | Dieser Gigant der Biergeschichte führt uns wieder einmal nach Bayern, genauer gesagt, zur Wiege der akademischen Brauerausbildung: nach Weihenstephan. Theodor Ganzenmüller ist selbst Jahrzehnte nach seinem Tod immer noch einer der populärsten Wissenschaftler der Brauereigeschichte; ein unvergessener Pionier, dem Weihenstephan einige Meilensteine zur verdanken hat. Sein Metier, sein Vermächtnis und sein offenbar eigenwillig-liebenswerter Charakter haben ihm auch einen originellen Spitznamen eingebracht.
Theodor Ganzenmüller, genannt „Dampf-Theo“, ist eine legendäre Figur in der Geschichte der Hochschule Weihenstephans. Zur Herkunft des Spitznamens bieten sich zwei Erklärungen an: sein heißblütiger Charakter, mit dem er bei Diskussionen über Themen, die ihm wichtig waren, gerne einmal übermäßig Dampf abließ. Und eines seiner wichtigsten Metiers, der Dampfeinsatz in der Brauerei, der ihm dauerhaften Nachruhm bescherte. Doch wer war dieser Dampf-Theo?
Ganzenmüller wurde am 9. November 1864 in Augsburg geboren. Er besuchte in München die Volks- und Realschule und dann die Königliche Industrieschule. Letztere besaß eine mechanisch-technische Abteilung, und ein Abschluss dort qualifizierte für eine höhere theoretische Ausbildung. Von 1883 bis 1887 studierte er an der maschinentechnischen Abteilung der Technischen Hochschule München.
Nach Beendigung des Studiums arbeitete er für ein halbes Jahr im Konstruktionsbüro der Locomotivfabrik Krauss & Comp. in München (der späteren Krauss-Maffei), bevor er für ein Jahr in den Außendienst der Linde-Eismaschinen AG wechselte. Damit hatte er seine beiden wichtigsten Felder bereits in jungen Jahren bestellt: Dampf und Kälte. Es fehlte nur noch der Zusammenhang mit den Brauereien.
Das änderte sich 1889 mit der bestandenen Lehramtsprüfung und seinem Eintritt in die damalige „Königlich Landwirtschaftliche Zentralschule Weihenstephan“ als Dozent und Lehrer. Theodor Ganzenmüller übernahm die Vorlesungen des neuen Fachgebiets Maschinenkunde. Zuerst als Assistent, ab 1894 mit eigener Professur. Als 1904 die Hochschule in die Abteilungen Landwirtschaft und Brauwirtschaft aufgeteilt wurde, übernahm Professor Ganzenmüller als Vorstand das Brauereiwesen.
Bestehendes Know-how auf Brauer zuschneiden
Sehr interessant ist die Entwicklung Ganzenmüllers im Bereich der Brauereitechnik, welche Projekte er anging und wie. Seine ersten Meriten erntete er auf dem Kältesektor, bei der Nutzung von Carl (von) Lindes brillanter Erfindung für die Brauwirtschaft und deren Einführung auch in kleinere und mittlere Betriebe. Hier nahm er Vorhandenes, klopfte es auf seine Tauglichkeit für seine Zwecke ab, und machte den Brauern konstruktive Vorschläge hinsichtlich Kosten, Effizienz und Machbarkeit – mit großem Erfolg. Man könnte sogar so weit gehen zu sagen: Ganzenmüller führte den Beruf des professionellen Gutachters für die Brauereien ein. Er bot den Brauern externe, fachmännische Expertise und leistbare Risikoabschätzung zu Themen, die diese so nicht bewältigen konnten. Und nach der Kälte kam der Dampf.
Neu entwickelte Technik für Braupfannen
Hier ging Ganzenmüller einen ganzen Schritt weiter. Er nahm nicht länger vorhandenes Wissen und schnitt es auf die Brauereien zurecht, sondern er erschuf Neues. Bis heute gilt die Einführung der dampfbeheizten Braupfanne als sein größtes wissenschaftliches Verdienst. Die Kraft-Wärme-Kopplung mit der Dampfmaschine, wobei der Abdampf der Dampfmaschine zur Beheizung der Braupfannen mittels neu konstruierter Heizflächen genutzt wurde, war eine sensationelle Idee. Theodor Ganzenmüller war hierbei auch der Vordenker aller heutigen Energie-Rückgewinnungs-Systeme. Der wahre Triumph ließ zwar ein wenig auf sich warten, weil viele Brauer skeptisch waren, ob diese „Dampfbiere“ geschmacklich mit den „Feuerbieren“ mithalten könnten. Aber es war nur eine Frage der Zeit. In Vaihingen (Brauerei Leicht, 1903) und München (Brauerei Pschorr, 1904) wurden die ersten dampfbeheizten Pfannen installiert.
Schließlich und logisch-konsequent vollzog er den letzten Schritt bei seinen Projekten: vom Einzelnen zum Ganzen. Er begann, komplette Brauereien zu planen und zu bauen. Seine Gutachtertätigkeit behandelte nun alle Aspekte der Brauerei, im Versuch, ganzheitliche Betrachtungen anzustellen, gegenseitige Wechselwirkungen mit einfließen zu lassen und die ganze Brauerei so effizient wie möglich zu konstruieren. Die Kosten sollten dabei nicht ausufern, aber auch eine gewisse industrielle Ästhetik durfte nicht außer Acht gelassen werden. Diese Arbeit konnte Ganzenmüller jedoch nicht mehr allein bewältigen, daher schuf er eine neue Organisation.
Ganzheitliche Planung kompletter Brauereien
Das Jahr 1906 wurde eines der wichtigsten in Ganzenmüllers Karriere: Er gründete das Technische Büro Weihenstephan als Schnittstelle zwischen der akademischen Theorie und der gelebten Brauereipraxis. Zwei Aufgaben schrieb er sich dabei auf die Fahnen: Erstens, die Herstellung von Entwürfen, Bau- und Werkplänen sowie Kostenvoranschlägen für Neu- und Umbauten von Brauereien, Mälzereien und aller dazu nötigen technischen Einrichtungen. Und zweitens, die Beratung bei der Vergebung dieser Aufträge an Baufirmen und Maschinenfabriken.
Der Erfolg dieses eigentlich als Nebentätigkeit – neben der Professur – geplanten Büros ließ nicht lange auf sich warten. Allein zwischen 1909 und 1913 baute das Technische Büro sieben Brauereien, neben dem Hofbrauhaus Freising waren das zum Beispiel die Brauerei Altenburg in Thüringen, die Tucherbräu in Fürth oder die Brauerei Hacklberg in Passau.
Als Beispiele seiner Arbeit seien hier besonders ambitionierte Projekte genannt: Für die Spatenbrauerei erstellte Theo Ganzenmüller in den 1920er-Jahren ein Gutachten über eine Dampfturbine, deren Dampf sowohl im Sudhaus als auch zu anderen Heizzwecken eingesetzt werden sollte und deren Abwärme zur Warmwasserheizung dienen sollte; eine Turbine also, die eine – selbst nach heutigen Maßstäben – ökologisch sinnvolle Auslastung anstrebte. Die Firma AEG, Berlin, übernahm den Bau des Turbogenerators, Maffei, München, lieferte die Rohrleitungen.
Professor Theo Ganzenmüller entwarf in den Jahren 1925–27 außerdem die brautechnische Inneneinrichtung der Becker-Brauerei, St. Ingbert. Die einzelnen Etagen des 41 Meter hohen Sudturmes bildeten die Schritte des Sudprozesses ab; das Malz gelangte über eine Vakuumpumpe zum 7. Stockwerk, von dort lief der Brauprozess ohne weitere Energiezufuhr von oben nach unten selbstständig ab.
Das Gräfliche Hofbrauhaus Freising
Sein Meisterstück war das bereits oben erwähnte Gräfliche Hofbrauhaus Freising. Hier lieferte Ganzenmüller zwischen 1910 und 1912 mehr als ein technisches Gutachten: Die ganze Brauerei trägt seine Handschrift – von der Fassade bis zur Brautechnik. Dieser Bau gilt als Prototyp für die Ganzenmüller’sche Architektur, als Höhepunkt seiner Schaffenskraft. Mit neugotischen und Jugendstil-Elementen, Einsprengseln des Neoklassizismus bei Kuppel, Rundbögen, Erkern und hohen Sprossenfenstern erinnerte die Fassade an ein kleines Schloss. Aber dennoch war es im Inneren ein hochfunktionaler Zweckbau, mit einer gelungenen Mischung aus Ästhetik und modernster Technik der Zeit. Hinter dem verspielten Äußeren stand eine hochmoderne Konstruktion aus Eisenbeton, eine der ersten im Brauereibau. Das erlaubte größere und schwerere Maschinen und Sudgefäße, während gleichzeitig die Brandgefahr verringert wurde.
Populär bis in unsere Zeit
Professor Theo Ganzenmüller war schon zu Lebzeiten eine Legende. Bereits in einer frühen Ausgabe des „Illustrierten Brauerei-Lexikons“ (1910) von Max Delbrück (siehe Teil 9 dieser Reihe, BRAUWELT Nr. 4, 2022, S. 98–100) findet sich ein längerer Eintrag. Seine eigene Alma Mater feierte Ganzenmüller zu seinem 70. Geburtstag mit einer üppigen Festschrift. Diese trug den vollen Titel „Unser Ganzenmüller: Festliche Szene zur Feier des 70. Geburtstages des Herrn Prof. Ganzenmüller am 27. Oktober 1934“, umfasste 31 Seiten und wurde sogar als Buch veröffentlicht. Autor war u. a. der Weihenstephaner Braumeister und spätere Direktor des Hofbräuhauses Karl Lense, der vielen Brauern durch das Standardwerk „Katechismus der Brauereipraxis“ bekannt sein dürfte, an dem er seit 1926 mitwirkte und für das er seit dem Tod des Ur-Autors Jaroslaw Dworsky 1929 allein verantwortlich zeichnete.
Die Stadt Freising verlieh Dampf-Theo 1936, ein Jahr vor seinem Tod, die Ehrenbürgerwürde und benannte eine Straße nach ihm. Die Ehrenbürgerwürde wurde ihm in der Nachkriegszeit posthum wieder aberkannt, weil sie offiziell von Nazis verliehen worden war. Diese Aberkennung betraf alle Ehrenbürgerwürden aus dieser Zeit, aber der Straßenname blieb bis heute erhalten. Professor Theodor Ganzenmüller schloss am 27. Dezember 1937 in Freising für immer die Augen. Aber auch nach seinem Tode wird er in diversen Medien bis heute gefeiert. Von der Süddeutschen Zeitung über Münchner und Freisinger Lokalzeitungen bis zur TU München, deren damaliger Präsident Wolfgang A. Herrmann ihn 2018 in seinem Buch „Köpfe der TUM. Geniale Entdecker und Erfinder“ erneut würdigte.
Selbstverständlich gab es für diese Lebensleistung auch einen Eintrag in die „Große Bayerische Biographische Enzyklopädie“. 1956 ehrte ihn die Stadt München mit einer Straße in Allach-Untermenzing. Ebenso das Bierlokal „Dampf-Theo“ neben dem Mercure-Hotel in Freising erinnert weiterhin an ihn. Das von ihm gegründete Technische Büro Weihenstephan ist auch heute noch in der Brauereibranche tätig und hält die Erinnerung an seinen Gründer aufrecht.
Dieser Artikel erschien ursprünglich in der BRAUWELT im Dossier: Giganten der Biergeschichte unserer Autors Günther Thömmes.
Quellen
- Dr. F. Hayduck: Illustriertes Brauerei-Lexikon, Berlin, 1925.
- Dr. Tullio Zangrando: „Theodor Ganzenmüller, Pionier des modernen Brauereibaus“, BRAUWELT Nr. 25–26, 2006, S. 749, 752–756.
- Mikuláš Teich: Bier, Wissenschaft und Wirtschaft in Deutschland 1800–1914, Böhlau Verlag, 2000.
- Wolfgang Behringer: Die Spaten-Brauerei, Piper Verlag, 1997.