Portraits


	
						
	
	

				
			

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Im Frühjahr 2020 begann die Installation der neuen Brauanlage, mit der die unabhängige Nürnberger Orca Brau voll durchstarten wollte. Es folgten Pandemie und Lockdown. Trotzdem blickt Felix vom Endt, Gründer und Geschäftsführer, zuversichtlich in die Zukunft. Die Philosophie der Brauerei: Biere abseits des Massengeschmacks brauen. GradPlato war vor Ort und besichtigte die kleine, aber feine Braustätte im Nürnberger Norden.

Den ersten „professionellen“ Berührungspunkt mit Bier hatte Felix vom Endt im Jahr 2007. Während seines Studiums der sozialen Arbeit gründete er den Bierblog www.lieblingsbier.de. Dieser Blog, zwischenzeitlich der meistgelesene Bierblog in Deutschland, war der erste Schritt, der letztlich zur Gründung der Braustätte Orca Brau im Nürnberger Knoblauchsland führen sollte. Nach dem Studium verbrachten Felix vom Endt und seine Frau Susa ein Jahr in Kanada und lernten die dortige Craft Bier-Kultur kennen. Im Anschluss ging es nach Berlin, wo vom Endt bei Heidenpeters Brauerei zwei Jahre lang im Tagesgeschäft einer Craft Brauerei alles rund um das „Vorhaben Brauerei“ kennenlernte.

 

Felix vom Endt (r.) und Brauer Maximilian vor dem Brauereiverkauf von Orca Brau
Felix vom Endt (re.) und Brauer Maximilian vor dem Brauereiverkauf von Orca Brau

 

Eine eigene Brauerei muss her!

Mit all diesen Erfahrungen und der alten Brauanlage von Heidenpeters im Gepäck zog vom Endt 2016 zurück in die Heimat seiner Frau nach Nürnberg. Hier begann die Geschichte von Orca Brau in einer geräumigen, angemieteten Produktionshalle im Nürnberger Norden.  Fachliche Unterstützung kam 2018 in Person von Brauer Maximilian dazu, der nach Interessensbekundung kurzerhand angeheuert wurde.

„Die dringendste Frage bei der Gründung einer Brauerei war natürlich: Wie finanzieren wir das? Auch deswegen war die Prämisse bei der Produktion von Anfang an: alles selber machen, selbst produzieren, selbst abfüllen, selbst Etiketten entwerfen. Die Automatisierung bestand im Prinzip aus einem An-/Aus-Schalter, alles war auf manuell-handwerkliche Produktion ausgelegt. Unsere ungekühlten Milchtanks mussten wir mit dem Hubwagen in die Kühlung fahren. Wir haben einfach Schritt für Schritt weitergemacht. Unser Motto war: Wir fangen mal an und sehen, was dabei herauskommt und wohin die Reise geht. Nach drei Jahren wurde uns klar, dass die Brauanlage vergrößert werden muss. Mit der bestehenden Anlage und den geringen Ausstoßmengen war auf lange Sicht keine kostendeckende Produktion möglich. Für uns war aber essentiell, dass weiterhin ein Ausstieg aus dem Braugeschäft jederzeit möglich sein sollte.“

Ein wichtige Grundlage – deren Fehlen für viele andere junge Craft Brauereien bereits das Aus bedeutete – hatte Orca Brau vorzuweisen: Ein hervorragend ausgebautes (Vertriebs-)Netzwerk mit vielen Kontakten in die bundesdeutschen Biermetropolen. So stand von Anfang an der nationale Vertrieb im Mittelpunkt und auch auf einem soliden Fundament.

 

Die 10-hl-Brauanlage von Kaspar Schulz
Die 10-hl-Brauanlage von Kaspar Schulz

 

Eine neue Wendung

Im August 2019 kam eine entscheidende Bekanntschaft zustande. Ein Kunde, beim Brauerei-Verkauf ins Gespräch gekommen, bot finanzielle Geschäftsbeteiligung an. Auf der BrauBeviale 2019 wurden dann verschiedene Hersteller und Brauanlagen besichtigt. Offenbar fühlte sich Orca Brau bei den Anlagenbauern von Kaspar Schulz am besten aufgehoben. Noch im Dezember 2019 waren die Verträge unterzeichnet, bis März 2020 war der Umbau der Produktionshalle abgeschlossen, bis Juli 2020 die Brauanlage eingebaut, Verrohrung und Programmierung fertiggestellt.

Felix vom Endt erinnert sich an diese herausfordernde Zeit: „Auf einmal ging es von allen Seiten mit Volldampf los! Wir hatten eine Baustelle in der Halle, verschiedenste Gewerke mussten beaufsichtigt werden. Und das alles im ersten Corona-Lockdown des Frühjahrs 2020! Wir hatten einen Produktionsstopp von drei Monaten eingeplant und mussten Flaschen vorproduzieren. Im Rückblick war das für mich so etwas wie eine Blackout-Zeit. Vieles habe ich nicht mehr vollkommen klar in Erinnerung. Zum Glück hatten wir in den Bereichen Sanitär- und Elektroinstallation sehr viel Unterstützung von Kaspar Schulz bekommen.“

Ein Flaschenfüller des Anlagenbauers Markl und ein knappes Dutzend Gär- und Lagertanks der italienischen Firma easybräu velo sowie ein Kühlraum komplettieren nun die Produktionsausstattung. Der Verkauf über den Online-Shop ging in diesem ersten Lockdown stark nach oben, das entlastete die finanzielle Situation ein wenig. Der Produktionsbeginn und die „Eröffnung“, während der etwas entspannteren Lage im Sommer 2020 funktionierten gut, auch der Verkauf in die Gastronomie lief an.

 

Essentiell, wenn man den bundesweiten Vertrieb von Flaschenbier angeht: die eigenen Abfüllanlage
Essentiell, wenn man den bundesweiten Vertrieb von Flaschenbier angeht: die eigenen Abfüllanlage

 

Start-Stop

„Der zweite Lockdown war dagegen ein echter Schlag für uns. Wir waren gerade noch im Kopf mit dem Hochfahren von Brauerei und Produktion beschäftigt und mussten dann kurz nach unserem Start sofort wieder einen vollen Stop hinlegen“, erinnert sich Felix vom Endt. Aber vielleicht waren das auch Umstände, die es einem kleinen, kreativen Betrieb ermöglichten, seine Stärken auszuspielen? Um kein Bier, auch nicht bereits in Fässern abgefülltes, vernichten zu müssen, reagierte Orca Brau schnell: Ab- und Umfüllen in Flaschen war angesagt. Und auch die ersten Online-Tastings und Online-Brauereiführungen waren schnell organisiert, der Bockbier-Anstich wurde online übertragen. Die Eintrittskarten zum ersten Geburtstag von Orca Brau im März 2021 bestanden in Zugangscodes für die Zoomkonferenz.

 

Es sollte mehr Brauereien geben!

Die Philosophie von Orca Brau ist klar: eine kleine, regionale Brauerei, die spezielle, besondere Biere in konstant hervorragender Qualität produziert. Biere für einen besonderen Anlass, mit denen sich besondere Geschmackserlebnisse zelebrieren lassen. Und zwar folgerichtig zu einem Preis, der die Wertschätzung gegenüber dem Produkt und der handwerklichen Produktionsweise ausdrückt. „Manche Leute kommen zu uns an den Rampenverkauf und nehmen vielleicht mal ein Six-Pack mit oder auch nur drei Flaschen“, erzählt Felix vom Endt, „und entschuldigen sich dann, dass sie nicht mehr Bier mitnehmen. Ich sage dann immer, ihr seid hier gern gesehen, auch wenn ihr nur eine einzige Flasche kauft. Die Kistenware könnt ihr doch im Getränkemarkt besorgen.“ Nein, es ist klar geworden, Orca Brau steht auf und für Biervielfalt, und in Nürnberg ist ihm die Brauereiszene noch nicht annähernd vielseitig genug.

 

Gär- und Lagerkeller bei Orca Brau
Gär- und Lagerkeller bei Orca Brau

 

Der Rebell, oder: Vielfalt vor Untergang

Schließlich kommt das Gespräch noch auf ein weiteres besonderes Bier aus der Produktpalette von Orca Brau: „der rebell“ (sic). Benannt nach dem gleichnamigen Sauerteigbrot der Familienbäckerei Feil aus Neumarkt. Diese war an Orca Brau herangetreten mit der Ansage: „Kein Brot darf in der Tonne landen!“ Nachhaltige Produktion steht bereits auf dem Programm der Bäckerei. Durch den Einsatz künstlicher Intelligenzkonnte Feil Retouren bereits deutlich nach unten korrigieren. Hier kam die Idee auf, das Brot im Brauprozess einzusetzen. Denn beide Produkte – Bier und Brot – bestehen ja letztlich zum größten Teil aus Getreide. Und so braut Orca Brau mit Rückläufern des „Rebell 36“, eines geschmacksstarken Dinkel-Roggen-Sauerteigbrots, ein „Märzen“.

„Es heißt nicht Bier, sondern ‚der rebell‘“, sagt Felix vom Endt, „denn in Bayern bekommt man für ‚besondere Biere‘ keine Sondergenehmigung, laut Reinheitsgebot darf das nicht Bier heißen.“ Das Brot enthält neben Dinkel und Roggen noch Leinsaat und natürlich Salz, beim Maischen muss man da ein bisschen vorsichtig sein, mehr als etwa 20 kg Brot auf 1000 Liter Würze sind nicht „drin“. „Damit können wir natürlich nicht sämtliche Retouren ‚retten‘, aber wir wollten mit der Aktion auf die Thematik der Lebensmittelverschwendung aufmerksam machen.“

Zum Thema Reinheitsgebot sagt vom Endt: „Für mich ist eine Entbürokratisierung bei den Behörden nötig und eine Modernisierung der Gesetzgebung. Ich fände es gut, wenn zusätzlich auch natürliche Zutaten erlaubt wären. Für den Zoll spielen die Zutaten interessanterweise weniger die Hauptrolle, für die Besteuerung ist entscheidend, dass Bierwürze hergestellt wurde.“

Was die Bezeichnung des Produkts angeht, Orca Brau kann auch ohne das Label „Bier“ leben, die Sorten mit Zutaten außerhalb des Reinheitsgebots sind entsprechend als „alkoholhaltiges Malzgetränk“ gekennzeichnet. Wichtig ist für Felix vom Endt weiterhin das volle Spektrum Biervielfalt beim Brauen auszuleben und der Kreativität freien Lauf zu lassen. Für ihn kommt Vielfalt vor Untergang.