Unter der Nürnberger Altstadt befindet sich ein weit verzweigtes Gänge- und Kellersystem. Im 14. Jahrhundert wurde es in den Sandstein unter dem Burgberg geschlagen. Während diese Kelleranlagen im Zweiten Weltkrieg der Bevölkerung Schutz vor Luftangriffen boten, dienten sie ursprünglich einem anderen Zweck: der Herstellung und Lagerung von Bier.
Fast 500 Jahre lang werden aus dem Burgberg von Nürnberg Unmengen von Sandsteinfels geschlagen und nach oben befördert. Irgendwann waren es 25 000 Quadratmeter – All diese Keller wurden per Hand mit Hammer und Meißel in den Fels gehauen. Eine gewaltige Aufgabe! Wir wissen heute, dass am 11. November 1380 eine Verordnung in Nürnberg erlassen worden war, nach der Bierbrauer und Weinhändler verpflichtet waren, Keller von einer Größe von mindestens 15 Quadratmetern anzulegen (Satzungsbuch V/D der „Freien Reichsstadt Nürnberg“). Noch bis ins späte 19. Jahrhundert wurden diese Keller in Handarbeit gegraben. In der Zeit der Industrialisierung von 1835 an wuchs die Einwohnerzahl Nürnbergs gewaltig. Immer mehr Biertrinker mussten versorgt werden, weshalb dann auch immer mehr Keller gegraben wurden. Vor allem in den 1860er- und 1870er-Jahren gab es noch einmal einen großen „Grabe-Boom“. In dieser Zeit beantragten gar Hausbesitzer, die selbst gar keine Bierbrauer waren, bei den Behörden Erweiterungen ihrer Keller. Es muss wohl ein einträgliches Geschäft gewesen sein, Bierkeller an Brauereien zu vermieten oder zu verpachten – so hoch war der Bedarf nach den kühlen Räumen. Auch außerhalb der Altstadt wurden in dieser Zeit zwei größere Kelleranlagen geschaffen.
Warme vs. kalte Gärung
Bier, vor allem wenn es kühl gor und lagerte, hielt länger als Milch oder Saft und war bei der sogenannten „kalten Gärung“ mit untergäriger Hefe auch meist von besserer Qualität. Und dies ist der wohl wichtigste Grund dafür, dass man unter der Nürnberger Altstadt riesige Kellerlabyrinthe in den Sandsteinfels gehauen hat, denn in den Kellern herrschen ganzjährig Temperaturen um 10 °C. In Köln, der größten deutschen Stadt im Mittelalter, konnten wegen des weichen Untergrundes keine solchen Bierkeller gegraben werden. Dort musste viel häufiger „warm“ – also obergärig – gegoren werden.
In Städten, deren Untergrund Kellergrabungen zuließen, sind sehr häufig weitläufige Bier- oder Weinkeller geschaffen worden. Dies ist nicht nur in Nürnberg so geschehen, sondern beispielsweise auch in Bamberg, Bayreuth, Gera, Lauf, Dachau, Schwandorf und vielen anderen Städten.
Hoher Bierkonsum im Mittelalter
Bier wurde im Mittelalter in fast jedem Haushalt für die Familie gebraut. Im Späten Mittelalter und der frühen Neuzeit gab es dann in größeren Städten Brauereien als Wirtschaftsbetriebe, die die Bevölkerung versorgten. In Nürnberg waren es bis zu 42 Brauereien, in kleineren Städten wie Tangermünde etwa 180. Das liegt daran, dass in Nürnberg die Zahl der Bierbrauer von den städtischen Autoritäten 1579 gedeckelt wurde. Mehr als 42 Brauereien wurden in Nürnberg nicht zugelassen. Dank eines 1464 erlassenen kaiserlichen „Erbschankprivilegs“ genossen die Nürnberger Bierbrauer obendrein noch Schutz vor auswärtiger Konkurrenz. Und die Bevölkerung von damals war sehr durstig.
Zwischen 1470 und 1800 lässt sich für Nürnberg ein ungeheuer hoher Pro-Kopf-Verbrauch von alkoholischen Getränken nachweisen: 1471 trank man 220 l Bier und 62,5 l Wein pro Kopf im Jahr. Im Jahre 1560 waren es 135 l Bier und 115 l Wein, 1628 - 1630 ganze 300 l Bier und 50 l Wein.
Rotbier und Weißbier
In Nürnberg braute man also ab 1380 untergäriges Bier, das aufgrund der Darre über Feuer eine kupferne Farbe aufwies und als „Rotbier“ bezeichnet wurde. Man kann das Nürnberger Rotbier als das Traditionsbier der Stadt bezeichnen. Ab 1531 gab es sogenanntes Weißbier: warm – also obergärig – vergorenes, weniger stark gehopftes Bier. Da man 1303 den Bierbrauern in Nürnberg vorgeschrieben hatte, nur Gerste zu verwenden, blieb das Brauen von Weizenbier den Hausfrauen vorbehalten, die ausschließlich für die eigenen Familien brauten. Doch deshalb blieb Weizenbier beliebt. Um Weizenbier auf dem Markt wieder etablieren zu können, wurde 1643 ein städtischer Monopolbetrieb eröffnet, der den Bedürfnissen der Bäcker nachgestellt war und nur Weizenbier produzierte, wenn reichlich Getreide geerntet worden war. Dieser Betrieb wurde erst über zweihundert Jahre später im Jahre 1855 von der Dr. Lorenz Tucher Stiftung aufgekauft und firmiert seither unter dem Namen Tucher-Bräu, die neben den Kleinbrauereien der Hausbrauerei Altstadthof, der Schanzenbräu und dem Barfüßer in der Mauthalle die einzige verbliebene große Brauerei in Nürnberg ist.
Unter der Universität im Nordosten der Altstadt erstrecken sich auch heute noch über weite Flächen die sogenannten „Tucherkeller“, der „Große“ und der „Kleine“, wobei großflächige Bereiche des „Großen Tucherkellers“ aus statischen Gründen vor dem Neubau der Universität mit Beton verfüllt werden mussten. Die Tucherkeller waren die einzigen Bierkeller, die noch nach dem Zweiten Weltkrieg als Bierlager genutzt wurden.
Während des Zweiten Weltkriegs waren die Bierkeller zu Luftschutzbunkern umgebaut worden.
„Das Bier hat uns das Leben gerettet ...“
Diesen Satz hört man immer wieder mal von Leuten, die damals in den ehemaligen Bierkellern Schutz fanden. Insgesamt kamen etwas mehr als 6000 Menschen bei allen Bombenangriffen auf Nürnberg ums Leben. Das ist im Vergleich zu ähnlich schwer zerstörten Städten relativ wenig. Die Nürnberger nutzten den Umstand, solche Bierkeller zu haben, weidlich aus, wodurch zehntausende von Menschenleben gerettet werden konnten. Trotzdem waren die Auswirkungen der Bomben verheerend. Acht Tage dauerten nach einem Angriff am 2. Januar 1945 die Löscharbeiten. Die historische Altstadt war quasi vernichtet. In Nürnberg, wie wir es heute kennen, ist die mittelalterliche Altstadt eigentlich nicht das Original, sondern eine weitgehend neu aufgebaute „Altstadt“, in der die historisch wichtigen Gebäude rekonstruiert sind.
Auch einige der Bierkeller wurden während des Krieges stark verändert – vor allem solche, die von Nürnberger Behörden als Spezial-Bunker ausgebaut wurden. Allen voran der „Historische Kunstbunker“, in den isolierte, beheizbare Zellen mit Notstromversorgung und Klimatisierung installiert wurden, um dort alle beweglichen wertvollen Kunstschätze aus den Kirchen und Museen der Stadt einzulagern. Später kam auch erbeutete Raubkunst aus Polen und Russland in die Nürnberger Unterwelt. Und die Reichskleinodien aus Wien waren im Kunstbunker eingelagert. Ferner wurden in ehemaligen Bierkellern Bunkerräume eingerichtet für den Oberbürgermeister und den Gauleiter, für die städtischen Werke, das Hochbauamt, die Polizei und die technische Nothilfe. Die damals vorgenommenen baulichen Veränderungen sind auch heute noch zu sehen.
Die Felsengänge heute
Die meisten dieser alten Kelleranlagen schlummern heute unberührt unter der Nürnberger Altstadt, doch seit 1984 werden in den sogenannten „Historischen Felsengängen“ Führungen angeboten, die sich intensiv mit dem Thema „Bier“ beschäftigen. Veranstalter dieser Führungen ist die Hausbrauerei Altstadthof, die im Rahmen dieser Führungen auch besichtigt wird. Die Fläche dieser Keller entspricht in etwa einem Zwölftel der Gesamtfläche aller Anlagen. Weitere Führungen werden vom Förderverein Nürnberger Felsengänge e.V. angeboten.
Quellen
- Herppich, W.: Das unterirdische Nürnberg, Hofmann Verlag, Nürnberg, 1987.
- Schultheiß, W.: Brauwesen und Braurechte in Nürnberg bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, Nürnberger Werkstücke, Bd. 23, 1978.
- Schramm, G.: Der zivile Luftschutz in Nürnberg 1933-1945, Korn & Berg, Nürnberg, 1983.