Portraits


	
						
	
	

				
			
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Der Craft Bier-Trinker sucht Abwechslung – und gleichzeitig Tradition. Beide Ansprüche könnten z.B. durch Einsatz historischer Braugerstensorten bedient werden. Eine aktuelle Verbraucherbefragung zeigt, dass das Interesse an Bieren mit historischen Gerstensorten bei Biertrinkern groß ist.

 

Alte oder historische Sorten?

Bei der Verbraucherbefragung wurde bewusst keine klare Definition vorgegeben, was eine alte Sorte ist. Vor der Befragung wurden allerdings Beispiele für „echte“ alte Sorten wie Spiegelgerste oder Dr. Franks grannenabwerfende Imperialgerste genannt.

Offiziell werden als alt solche Sorten bezeichnet, die zuletzt zwischen 1836 und 1956 dokumentiert wurden, aber aktuell nicht oder nur in sehr geringem Umfang genutzt werden (Quelle: Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), Bonn). Weitere Eigenschaften alter Sorten: Die BLE hat eine Rote Liste für gefährdete Nutzpflanzen erstellt (pgrdeu.genres.de/rlist). Als Voraussetzung für die Aufnahme in die Rote Liste muss die Pflanze einheimisch, gefährdet und bedeutend sein, außerdem dürfen weder Sortenschutz noch Sortenzulassung vorhanden sein. Sorten, die schon vor 1956 zugelassen waren und es heute immer noch sind, gelten als Traditionssorten.

 

Vorstudie zu Bier mit historischen Braugerstensorten

Im Rahmen einer Master-Arbeit an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (J. Lauterbach: „Pilotstudie zur Vermarktung von Bier mit historischen Braugerstensorten“, Eberswalde, 2017) fanden Diskussionsrunden zu Verbrauchererwartungen an Biere mit historischen Braugerstensorten statt. Die insgesamt 18 Diskussionsteilnehmer – u.a. nach ihrem regelmäßigen Kauf von Bio-Produkten ausgewählt - erwarteten ein hochwertiges Produkt und schrieben ihm zahlreiche positive Eigenschaften und Mehrwerte zu.

 

Teilnehmer und Design der Hauptstudie

Auf Basis der Vorstudie wurde von Oktober bis Dezember 2018 eine quantitative Hauptstudie durchgeführt. Die Teilnehmenden waren primär Leserinnen und Leser von deutschsprachigen Craft Bier-Blogs, über deren Online-Präsenzen der Link zur Befragung geteilt wurde. Diese „Verbraucher“ stellten 80 Prozent der Studienteilnehmer. Ergänzend wurden 2018 auf der BrauBeviale 20 Prozent der Teilnehmenden aus der Braubranche gewonnen. Insgesamt kamen 128 gültige Antworten zusammen, wodurch die Studie eine gute Aussagekraft erreicht. 80 Prozent der Befragten waren Männer, 20 Prozent Frauen, das Durchschnittsalter lag bei 36 Jahren.

Den Teilnehmern der Studie wurden Fragen zu den Eigenschaften von Bier mit historischer Braugerste, den Brauprozess sowie den Anbau der Braugerste selbst gestellt. Die einzelnen zu bewertenden Aspekte waren von den Ergebnissen der Vorstudie abgeleitet worden. Zusätzlich wurden die Teilnehmer in einer offenen Eingangsfrage nach ihren Assoziationen zu Bier mit historischer Braugerste befragt.

 

Verbraucher positiv, Brauer eher skeptisch

Auffällig waren die Unterschiede bei den Assoziationen zwischen den Personen, die in der Bierbranche tätig sind, und den „Verbrauchern“.

Bei den Verbrauchern waren „traditionell“ sowie „ursprünglich/natürlich“ die meistgenannten Assoziationen, wobei letzteres z.B. auch als „nicht (gentechnisch) verändert“ oder als „nicht (auf Ertrag) gezüchtet“ beschrieben und positiv bewertet wurde. Danach folgten von der Häufigkeit her Assoziationen zum Geschmack, biologischer Vielfalt und Regionalität.

Die Assoziationen der in der Bierbranche tätigen Personen waren deutlich konkreter und zum Teil sehr kritisch. Sie bezogen sich beispielsweise auf Sorteneigenschaften wie den Proteingehalt oder die (schlechtere) Lösbarkeit historischer Gerstensorten. Auch „züchterisch überholt“ wurde geantwortet. Andere Personen äußerten sich jedoch positiv und assoziierten Kreativität und Individualität mit historischer Braugerste.

 

Erwartungen an die Eigenschaften des Bieres selbst

Der wichtigste Aspekt beim Kauf von Bier mit historischen Braugersten (Abbildung 1) war für die Befragten der Geschmack – hier herrschte praktisch Übereinstimmung. Der zweitwichtigste Aspekt war dessen ökologische Zertifizierung, die zwei Drittel der Teilnehmenden für (eher) wichtig erachteten. Das Ergebnis passt jedoch gut zu den Assoziationen eines natürlichen Produkts. Ein nach dem Reinheitsgebot gebrautes Bier wäre nur einem Drittel der Befragten (eher) wichtig.

Abbildung 1: Verbrauchererwartungen an Eigenschaften von Bier mit historischer Braugerste

 

Brauprozess und Sortenanbau

In Bezug auf den Brauprozess von Bieren mit historischen Gerstensorten stand bei den Befragten das handwerkliche Brauen an erster Stelle: Fast 90 Prozent hielten dies für sehr oder eher wichtig (Abbildung 2). Der Herstellung des Bieres durch eine kleine Brauerei maßen fast ebenso viele Befragte eine große Bedeutung zu, die Herkunft des Bieres aus einer bestimmten anderen Region war aber nur von geringerer Bedeutung. Verbraucher verknüpfen ein regionales Bier vor allem mit dem Standort der Brauerei, weniger mit dem Anbauort der Gerste.

Abbildung 2: Verbrauchererwartungen an den Brauprozess von Bier mit historischer Braugerste

Die Aussage zum Anbau in einem bestimmten Terroir – also einem durch Boden- und Klimaeigenschaften geprägten Standort – war die einzige Aussage, die nicht von der Vorstudie abgeleitet wurde (Abbildung 3). Der Aspekt war als immer wieder diskutiertes Thema im Craft Bier-Bereich mit einbezogen worden. Fast ein Viertel der Teilnehmenden an dieser Befragung gab an, das Terroir sehr wichtig zu finden, weitere 40 Prozent fanden es eher wichtig. Ein Anbau in der eigenen Region war für über 60 Prozent der Befragten bedeutend.

Abbildung 3: Verbrauchererwartungen an den Anbau von historischer Braugerste

 

Weitere Fragen

Die Befragten äußerten ein vielfältiges Interesse an weiteren Informationen zu historischen Braugerstensorten (Abbildung 4). 90 Prozent von ihnen gaben an, mehr über Herkunft und Geschichte der unterschiedlichen Sorten erfahren zu wollen. Auch hier war der Geschmack wieder ein wichtiges Thema. Zwei Drittel wünschten sich weitere Informationen zur Eignung der Sorten für einen regional angepassten Anbau. Über die Hälfte interessierte sich für Informationen dazu, welchen Beitrag die Sorten zur biologischen Vielfalt leisten. Der letztgenannte Aspekt ist wiederum ein Beleg dafür, dass viele Verbraucher den ökologischen Wert historischer Braugerstensorten erkennen und wertschätzen.

Abbildung 4: Weitere Verbrauchererwartungen an Bier mit historischer Braugerste

 

Der Markt ist da – für handwerkliche & Bio-Brauereien

Verbraucher – bzw. enger gefasst die hier befragten Craft Bier-Trinker – sind an Bieren mit historischen Gerstensorten interessiert. Die Assoziationen sind fast ausschließlich positiv und emotional aufgeladen. Die Befragten wünschen sich ein Bier mit einem besonderen Geschmack, möglichst regional gebraut von einer handwerklich arbeitenden, kleinen Brauerei – und idealerweise auch noch bio-zertifiziert. Sie sind an Hintergrundinformationen zum Produkt interessiert. Gerade für handwerklich arbeitende Brauereien sowie Bio-Brauereien könnte sich der Einsatz historischer Braugersten also lohnen, um mit neuen Produkten oder veränderten Rezepturen neue Kunden zu gewinnen und bestehende Kunden zu binden. Notwendig ist es dabei, die Besonderheiten der historischen Gersten zu kommunizieren – sei es durch Informationen zur Geschichte der Sorten, zu Besonderheiten bei der Verarbeitung oder beim Anbau. Zwar wird der Anbau der Braugerste von Verbrauchern in deren Konzept eines regionalen Bieres wenig bedacht. Eine Deklaration von Terroir und regionaler Herkunft historischer Braugersten würde jedoch positiv wahrgenommen werden und sollte, falls vorhanden, ausgelobt werden. Den Beitrag der Sorten zur biologischen Vielfalt sollten vor allem Bio-Brauereien an ihre Kunden kommunizieren, um zu vermitteln, dass diese mit dem Kauf von Bier mit historischen Braugersten zum Erhalt dieser Sorten beitragen.

 

Mehr Wissen zum Geschmack nötig

Noch gibt es wenige Belege für einen anderen Geschmack von Bieren, die mit historischen Gerstensorten gebraut wurden, doch allein der hohe Proteingehalt der Sorten macht Biere vollmundiger und weicher. Sensorische Vergleichstests zwischen Bieren mit historischen und neuen Sorten sollten durchgeführt werden, um genauere Beschreibungen zu ermöglichen und Brauer in ihrer Entscheidung für den Einsatz historischer Gerstensorten zu unterstützen. Die Qualität eines Bieres bemisst sich jedoch für Verbraucher nicht nur am endgültigen Produkt, sondern auch am dahinterstehenden Prozess und der dazugehörigen Geschichte. Historische Braugerstensorten bieten deshalb einen Mehrwert, der weit über eine rein geschmacksgebende Zutat im Bier hinausgeht. Es scheint also an der Zeit, sich auch als Brauer von Emotionen leiten zu lassen – auch wenn es die der Verbraucher sind.