Vom blinden Passagier zum Hektoliter-Millionär | Selten lagen in einem Brauerleben Triumph und Tragik so nah beisammen wie bei Adolph Coors. Aus dem Nichts heraus hat er als Auswanderer in den USA eine Brauerei im Niemandsland gegründet und in jahrzehntelanger, harter Arbeit daraus eine der größten Brauereien der Welt gemacht. Wirklich glücklich geworden ist er bei all dem Erfolg allerdings nicht. Günther Thömmes porträtiert das bemerkenswerte Leben dieses Giganten der Biergeschichte in Teil drei unserer Serie.
Die Braustätte der Coors Brewing Company in Golden, Colorado, USA, gilt mit einem Jahresausstoß von über 15 Mio Hektolitern seit vielen Jahren als größte einzelne Braustätte der Welt. Ein größerer Unterschied zu deren bescheidenen Anfängen ist daher kaum denkbar.
Adolph Hermann Joseph Kohrs (oder auch Kuhrs) erblickte am 4. Februar 1847 in Barmen das Licht der Welt. Der Ort ist heute ein Stadtteil von Wuppertal, damals gehörte er zur preußischen Rheinprovinz (mit dem Verwaltungssitz Koblenz).
Mit 15 Jahren wurde der Junge zur Vollwaise, als kurz nacheinander erst Mutter Helena und dann Vater Joseph starben, beide im Jahr 1862. Zu der Zeit befand sich Adolph bereits in einer Brauerlehre in Henry Wenkers Brauhaus in Dortmund. Um sein Lehrgeld bezahlen zu können, arbeitete er nebenher als Buchhalter. Als Geselle blieb er noch bis Mai 1867 bei Wenker, danach zog er los und verdiente sich seine Sporen als Brauer in Kassel, Berlin und Uelzen.
Aufbruch nach Amerika als blinder Passagier
Es waren unruhige und raue Zeiten. Die Kriege Preußens gegen Dänemark und Österreich lagen noch nicht allzu lange zurück, der Deutsche Bund war aufgelöst worden und Bismarck zeigte sich weiterhin angriffslustig. Auch in Amerika war gekämpft worden und der Bürgerkrieg erst drei Jahre vorüber.
1868, mit 21 Jahren, drohte dem jungen Brauergesellen der Einzug zum preußischen Heer. In der Hoffnung, dass Amerika – im Gegensatz zu Deutschland – endgültig befriedet war, entzog er sich dem Ruf des Militärs durch eine Passage nach Amerika. Dort wollte er sein Glück suchen, genau wie mehr als 5,5 Millionen Deutsche in den Jahren zwischen 1820 und 1920.
Die ca. 100 Mark, nach heutiger Kaufkraft ca. 1000 Euro, die eine Überfahrt über den Atlantik damals für Auswanderer gekostet hätte, hatte er nicht, also kletterte er als blinder Passagier in Hamburg auf das Schiff. Eine Tatsache, für die er sich Zeit seines Lebens schämte und die in seiner Familie totgeschwiegen werden sollte. Erst 1970, nach dem Tod seines Sohns Adolph Coors II., wurde dieser Teil der Familiengeschichte diskutiert und veröffentlicht.
Der junge Mann wurde zu allem Unglück jedoch vorzeitig in seinem Versteck entdeckt und wurde vor die Wahl gestellt, ob er sich seine Passage nach der Ankunft in New York City verdienen oder ob er über Bord geworfen werden wollte. Die Entscheidung war einfach. Nach einem Jahr harter Arbeit war die Überfahrt bezahlt und Adolph Kohrs war ein freier Mann.
Vom Tagelöhner zum Geschäftsmann
Er reiste Richtung Westen und suchte Arbeit in Chicago. Er arbeitete als Tagelöhner, Brauer, Kohlenschaufler für Dampfmaschinen, Maurer und Steinschneider. Letztlich aber wieder als Brauer, bei der Stenger Brauerei in Naperville, Illinois. Nach drei Jahren ging es mit einigen Ersparnissen weiter nach Colorado. Dort konnte er sich 1872 bei einem Flaschenfüllbetrieb beteiligen. Er war anscheinend ein guter Geschäftsmann, denn nach weniger als einem Jahr war er bereits Alleineigentümer und verkaufte Flaschenbier, Cider, Wein und Mineralwasser.
Aus seiner Heimat hatte Kohrs, der seinen Namen inzwischen zu Coors amerikanisiert hatte, das Wissen um die Bedeutung guten Brauwassers mitgebracht. So fuhr er sonntags, wenn das Geschäft ruhte, durch die Gegend und suchte einen optimalen Platz für die Brauerei, die er zu gründen beabsichtigte.
Das Brauwasser bestimmte den Brauereistandort
Fündig wurde Coors schließlich in Golden, nahe Denver, am Flüsschen Clear Creek – nomen est omen! Das Städtchen war erst vierzehn Jahre zuvor gegründet worden, und somit waschechtes Wildwest-Pionierland.
In Jacob Schueler fand er einen Partner, der sein eigenes Kapital von 2000 Dollar als Einlage gleich einmal verzehnfachte. Mit 26 Jahren hatte Adolph Coors den ersten Schritt zum American Dream getan. Optimist musste er aber sein, denn Denver hatte mit knapp 50.000 Einwohnern bereits sieben Brauereien.
Coors war ein Unternehmer, der sich nicht unterkriegen ließ und von Anfang an auf strikte Arbeitsethik, Innovation und hohe Qualität setzte. Zwei Jahre bevor Colorado als 38. Bundesstaat den USA beitrat (das geschah am 1. August 1876), startete die „Golden Brewery“ von Coors und Schueler mit der Bierproduktion. Es dauerte nur weitere sechs Jahre, dann hatte Adolph Coors seinen Partner erneut ausgezahlt und war alleiniger Besitzer der Brauerei, die ab dann den Namen „Adolph Coors Golden Brewery“ trug.
Er heiratete Louisa Webber, die Tochter eines höheren Angestellten bei der Denver & Rio Grande Eisenbahn-Gesellschaft. Die Familie wuchs genauso wie sein Reichtum. Bis 1888 hatte Louisa bereits sieben Kindern das Leben geschenkt, zwei von ihnen waren jedoch bald nach der Geburt verstorben. Der mittellose Einwanderer von 1868 war auf dem allerbesten Weg, ein reicher Mann zu werden.
Einige Jahre später, um 1890 herum, war er bereits Millionär und einer der einflussreichsten Bürger Colorados. Da reiste die Familie Coors bereits zum Vergnügen um die Welt, so dass die Geburt des letzten Sohnes, Herman Frederick Coors, im Juli 1890 während eines Familienurlaubs in Berlin stattfand.
Deutsche Brauer machten helle Lagerbiere in den USA beliebt
Sein Bier, für das er den Namen „Banquet Beer“ erfand, unterschied sich von den anderen durch seine Leichtigkeit, Süffigkeit und die wunderbar helle Farbe. Das weiche Wasser machte dies möglich. Und so war Adolph Coors, zusammen mit ein paar anderen eingewanderten deutschen Brauern, maßgeblich beteiligt am durchschlagenden Erfolg der hellen Lagerbiere nach deutscher Brauart in den USA.
Coors verhielt sich gänzlich anders als die Großunternehmer Amerikas in dieser Zeit, für die der Begriff „Raubtierkapitalismus“ eigens erfunden werden musste: die Rockefellers, Vanderbilts, Astors, Carnegies, Morgans – fast alle von ihnen ebenfalls mittellos aus Europa eingewandert.
Coors erlaubte seinen Arbeitern die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft, zahlte gute Löhne und seine Arbeiter erhielten längere Pausen und mehr Haustrunk als in anderen Brauereien.
Prohibition und 1. Weltkrieg als Herausforderung
Die Abstinenzler-Bewegung warf jedoch zum Ende des 19. Jahrhunderts bereits erste Schatten voraus. Coors bekämpfte sie nicht, sondern investierte vorausschauend in andere Branchen wie Porzellan und Keramik. Er rechnete zwar mit einer Rezession, aber dann doch nicht mit der Prohibition, die Colorado besonders früh und heftig traf. Vier Jahre vor dem Rest der USA, bereits 1916, musste er die Produktion auf „Malted Milk“ und andere alkoholfreie Produkte umstellen. Das war jedoch nicht sein einziges Problem.
Bis 1915 war in seiner Brauerei Deutsch die Hauptsprache gewesen, genau wie in vielen anderen Brauereien und Brauer-Organisationen in den USA. Adolph Coors kaufte und warb sogar für Deutsche Kriegsanleihen – solange die USA nicht im Ersten Weltkrieg mitmischten. Deutsch zu sein oder zu sprechen, wurde jedoch immer unbeliebter, um nicht zu sagen: gefährlich. Nach der Torpedierung und dem Untergang der RMS Lusitania am 7. Mai 1915 stellte Coors die Unterstützung des Deutschen Reichs dann endgültig ein und die Sprache in seinem Betrieb auf Englisch um. Sein Geld floss von da an in amerikanische Kriegsanleihen. Gerade rechtzeitig, denn in der Folgezeit kam es zu offenen Feindseligkeiten im ganzen Land gegen alles, was deutsch „roch“, erst recht nach dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg im April 1917.
Coors stellte die eigene Massenproduktion in Frage
Zeitzeugen zufolge war Adolph Coors ein Unternehmertyp, der an freien Wettbewerb glaubte, aber auch immer das Beste für seine Arbeiter wollte. Er sah sich selbst als Handwerker, als Brauer, weniger als Unternehmer und erst recht nicht als Magnat. Coors identifizierte sich, seiner einfachen Herkunft gemäß, eher mit seinen Arbeitern als mit der High Society Denvers.
Er wurde daher zusehends kritischer seinen eigenen Produkten gegenüber, bis zu dem Punkt, als er die Massenproduktion mit pasteurisiertem Bier sowie das Massenmarketing offen in Frage stellte. Adolph Coors sah die Entwicklung der Branche – nicht nur aufgrund der Prohibition – immer pessimistischer.
Das Ende der Prohibition 1933 erlebte er jedoch nicht mehr. Am 5. Juni 1929, im Alter von 82 Jahren, stürzte sich Coors aus einem Fenster im sechsten Stock des Cavalier Hotels in Virginia Beach, Virginia, wo er sich zur Kur nach einer Grippe aufhielt. Er hinterließ einen Letzten Willen, in dem er nur wünschte, dass seine Hotelrechnung zur Gänze bezahlt werde, und lieferte keine weitere Begründung für seinen Freitod. Seine Brauerei blieb eine der wenigen Braustätten in den USA, die die Prohibition überdauerten.
Seine spektakuläre Lebensgeschichte, die erfolgreiche Reise nach dem Motto „Vom Tellerwäscher zum Millionär“ und sein Faible für Bierbrauen als Qualitäts-Handwerk machen ihn zu einer Ausnahmeerscheinung in der Biergeschichte. Es blieb seinen Kindern überlassen, die Brauerei trotz der pessimistischen Voraussagen des Vaters weiterzuführen.
Ursprünglich ist dieser Artikel im Dossier: Giganten der Biergeschichte unseres Autors Günther Thömmes in BRAUWELT Nr. 19-20/2021 erschienen.