Kreateur des Pilsner Bieres | Es gibt nur wenige Bierstile, deren Entstehung oder Erfindung man an einem exakten Datum festmachen kann – und an einer einzigen Person. Dass dies gerade beim weltweit meistgetrunkenen Bier der Fall ist, macht die Leistung dieses niederbayerischen Braumeisters umso bedeutsamer. Vorhang auf für Joseph Groll.
Das fragliche Datum war der 5. Oktober 1842. Da wurde nachweislich das erste Pilsner Bier gebraut, am Tag nach der Eröffnung des neuen „Bürgerlichen Brauhauses“ im böhmischen Pilsen. Ausgeschenkt wurde es dann erstmals am 11. November, und zwar in den Gasthöfen „Zum Goldenen Adler“, „Zur weißen Rose“ und „Hanes“. Vorausgegangen war ein langjähriger Ärger über zu schlechtes Bier in der böhmischen Kleinstadt.
1838 ließ der Pilsner Magistrat 36 Fässer des üblichen, aber offenbar diesmal ungenießbaren „Oberhefenbieres“ öffentlich vernichten, indem vor dem Rathaus die Fassböden eingeschlagen wurden. Zu Beginn des folgenden Jahres begann man, in Pilsen Geld einzusammeln für eine neue Brauerei. 250 Bürger brachten 51 807 Gulden auf, genug für die Gründung eines Bürgerlichen Brauhauses. Nur, wer sollte das neue Bier brauen?
Das Vertrauen der Pilsner Biertrinker in die Fähigkeiten der lokalen Braumeister hatte durch die Vorkommnisse der vorangegangenen Jahre sehr gelitten. Einen guten Ruf hingegen genossen bayerische Braumeister. Also begann der örtliche Braumeister Martin Stelzer, der für den Bau der neuen Brauerei verantwortlich zeichnete, aber wohl nicht selbst Bier brauen wollte, mit der Suche. Bereits bei der Technik hatte er sich an den Fortschritten der bayerischen Brauereien orientiert, daher entschied er sich zwangsläufig für einen Braumeister aus dem benachbarten Niederbayern.
Wer war dieser Joseph Groll?
Groll war am 21. August 1813 in Vilshofen zur Welt gekommen. Das Bierbrauen lag ihm ohne Zweifel im Blut, sein Vater besaß eine kleine Brauerei. Also durchlief er selbstverständlich eine Brauerlehre, wobei ihm sein Vater bereits erste Kenntnisse der untergärigen Brauweise vermittelte. Über Wanderjahre nach seiner Lehre gibt es keine gesicherten Informationen, gerüchteweise war er aber schon einmal in Böhmen, auch in Pilsen als Brauer aktiv gewesen, war dort jedoch – auch Gerüchte – wegen unflätigen Benehmens der Stadt verwiesen worden. Offenbar hatte Joseph Groll jedoch vorerst kein Interesse, die väterliche Brauerei zu übernehmen, denn das überließ er einstweilen seinem jüngeren Bruder Johann.
Joseph Groll hatte wohl bereits mit Ende Zwanzig einen gewissen Ruf als Experte für die neuartige Untergärung, als Martin Stelzer ihn 1842 aus Pilsen kontaktierte. Man wurde sich so schnell einig, dass Groll sogar noch in die Fertigstellung der Brauerei eingebunden werden konnte. Der Leidensdruck der Pilsner war groß genug, dass Groll sogar heraushandeln konnte, seinen Brauführer, Johann Eisner, und seinen Oberbinder, Wolfgang Almer, aus Vilshofen mitbringen zu dürfen. Ein Schachzug, über den sein Vater und sein Bruder sicher nicht erfreut waren.
Überliefert ist, dass sein Vater ihn den „gröbsten aller Bayern“ genannt hatte, aber nicht, in welchem Zusammenhang. Zeitgenossen schilderten Joseph Groll jedoch als einfachen, oftmals ungehobelten Menschen mit schwierigem Charakter. Ein Wesenszug, der ihm im späteren Leben immer wieder Schwierigkeiten bereiten sollte, nicht nur in der Folge in Pilsen. Was jedoch niemand bestritt: Er war ein exzellenter Braumeister, der die Möglichkeiten, die sich ihm boten, optimal ausnutzte.
Können, Glück und Zufall kamen in Pilsen zusammen
Denn es war nicht so, dass Grolls Erfindung einfach so aus dem Nichts kam. Der Braumeister aus Vilshofen legte nur die vorhandenen Puzzlesteine richtig zusammen, hatte dazu ein wenig Glück, und der Zufall half auch mit.
Denn nicht nur die Brauerei nach dem neuesten Stand der Technik war entscheidend, die sogar eine Mühle nach englischer Bauart mit eisernen Walzen besaß. Die Brauer in München, insbesondere Gabriel Sedlmayrs Spaten-Brauerei, waren bereits führend bei der Herstellung heller untergäriger Biere. Es ist daher davon auszugehen, dass die untergärige Hefe, die Groll zu Beginn seines Engagements mit nach Pilsen brachte, aus diesem Umfeld stammte. Die anderen Puzzlesteine fügten sich wie folgt: Der besonders aromatische, böhmische Hopfen, der in Saaz angebaut wurde, gab Grolls erstem Sud eine neuartige, herbe Würze, die durch das extrem weiche, mineralstoffarme Pilsner Wasser überdurchschnittlich gut zur Geltung kam. Auch das Malz, bereits vor der Eröffnung der neuen Brauerei produziert, war heller und besser aufgeschlossen als üblich, obendrein war es sehr niedrig abgedarrt worden. Vermutlich kamen hier auch bereits neue Erkenntnisse aus England zum Einsatz, dass die Darre indirekt beheizt wurde und somit das Malz nicht rauchig schmeckte. Joseph Groll brachte ein dazu passendes Dreimaisch-Verfahren mit an seinen neuen Arbeitsplatz, das den hohen Vergärungsgrad und das schlanke Geschmacksprofil lieferte, das heute noch für Pilsner Biere typisch ist.
Glück kam insofern dazu, als der Sud doch immer noch infektionsfrei und sauber durchgären musste, was damals, im Jahr 1842, beileibe nicht selbstverständlich war. Denn die Kältemaschine für eine gesicherte, kalte Untergärung war genau so wenig erfunden wie die Hefereinzucht. Daher kann man durchaus von Glück sprechen, dass auch das Wetter Anfang Oktober genau passte: kühl, aber nicht zu kalt. Und der Zufall wollte es, dass just in dieser Zeit die ersten Biergläser aus durchsichtigem Glas die Gastronomie eroberten. Grolls neues Bier bestach ja auch durch seine helle, glanzfeine Farbe und den schönen, hellen Schaum, was beides in einem dicken Krug nur wenig oder gar nicht zur Geltung gekommen wäre.
Rasanter Erfolg
„Jubel erscholl, als sich die Trinker von dem schneidigen, köstlichen, bei dem früher in Pilsen erzeugten nie wahrgenommenen Geschmack überzeugten.“ Joseph Grolls Verdienst war es zweifelsfrei, diese günstigen Voraussetzungen optimal genutzt zu haben, um ein Bier zu brauen, das nicht nur die örtlichen Biertrinker zufrieden stellte, sondern ein Fundament für den weltweiten Erfolg des Pilsner Bieres legte. Der Erfolg gab den Pilsner Brauern recht: Im ersten Jahr betrug der Absatz des neuen Biers 3657 hl. Sieben Jahre später waren es schon 10.865 hl und 1880 bereits 216.520 hl. Im Jahr 1910 wurde die Millionengrenze überschritten. Damit war das Bürgerliche Brauhaus zu Pilsen zur größten Brauerei im K.-u.-k.-Imperium geworden. Die Lagerkeller erreichten zum Ende des 19. Jahrhunderts eine Länge von neun Kilometern, dazu kamen sechs Eisdepots und 50 Eisgruben. Die Exportgeschichte begann bereits 1856 mit einer Lieferung nach Wien.
Der Erfolg brachte jedoch auch juristisches Geplänkel mit sich. Die zahllosen Prozesse um den Begriff „Pilsner“, die Boykotte und zahllosen Kopien, bevor „Pilsner“ von einer Ortsangabe zum Bierstil mutierte, zeigten jedoch im Grunde die hohe Wertschätzung, die dieser neue Bierstil inzwischen genoss.
Glücklos und vergessen
Doch da war Joseph Groll schon praktisch vergessen worden. Denn sein Engagement in Pilsen dauerte nicht einmal drei Jahre. Trotz des unbestreitbar guten Bieres, das er erfunden hatte, wurde sein Vertrag nicht verlängert – wohl als Folge seines ruppigen, streitbaren Charakters. Möglicherweise aber auch als Folge seines Qualitätsanspruchs, denn Groll arbeitete anscheinend nicht sonderlich sparsam. Als am 30. April 1845 sein Vertrag auslief, wurde der Posten des Braumeisters öffentlich ausgeschrieben. Auch Joseph Groll bewarb sich um die Stelle, wurde jedoch nicht angenommen. Sein Nachfolger erhielt den Job offenbar auch durch das Versprechen „vorteilhafteste Bedingungen zu stellen und namhafte Ersparnisse zu erzielen“. Den guten Ruf bayerischer Brauer hatte Groll dennoch bewahrt. Bis zur Jahrhundertwende rekrutierte das Pilsner Brauhaus seine Braumeister ausschließlich in Niederbayern.
Über das weitere Leben Joseph Grolls ist nur wenig bekannt. Er war als Braumeister nie wieder so erfolgreich wie in diesen drei prägenden Jahren in Pilsen. Er zog sich zurück ins heimatliche Vilshofen, um doch noch die väterliche Brauerei zu übernehmen, die sein Bruder Johann jedoch bereits ziemlich heruntergewirtschaftet hatte. Sein eigener Brain-Drain, die Mitnahme der besten Mitarbeiter nach Pilsen im Jahre 1842, spielte sicher auch eine Rolle.
Die nächste Nachricht über Groll beschreibt ihn als Privatier in Vilshofen, der 1856 seine Frau Katharina Gartner aus Frontenhausen heiratete. Von drei Kindern verstarb eines bereits im frühen Alter. Seine letzten Lebensjahre verbrachte Joseph Groll bei seiner Tochter Kathi Hutter, die ihn bis zu seinem Tod, am 22. November 1887, pflegte. Die Groll’sche Brauerei existiert schon lange nicht mehr.
Grolls Ruhm kam spät, lange nach seinem Tod. In den gängigen Bierlexika zu Beginn des 20. Jahrhunderts fehlt sein Name völlig. Erst mit dem weltweiten Aufstieg des Pilsner Bieres erinnerte man sich des Mannes, der an seiner Wiege gestanden hatte. Heute ist er aus der Geschichte der Giganten des Bieres nicht mehr wegzudenken. Sein Geburtshaus in Vilshofen (heute Volksbank) ziert seit 2007 eine Gedenktafel. Zum 200.
Geburtstag fertigte die Künstlerin Edeltraud Göpfert eine Büste von Joseph Groll an, die heute am Eingang des Rathauses steht.
Dieser Artikel erschien ursprünglich in der BRAUWELT im Dossier: Giganten der Biergeschichte unserer Autors Günther Thömmes.
Quellen
- Speckmann, W.D.: Biere, die Geschichte machten, Archiv Hopfen und Malz, Rattiszell.
- https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/kalenderblatt/2108-josef-groll-vater-des-pils-100.html (abgerufen am 29.09.2021)
- https://biergrantler.de/11/2017/pilsener-urquell-erfindung-oder-zufall/ (abgerufen am 29.09.2021)
- https://www.bayerisches-bier.de/bier-wissen/bayerisches-pils/ (abgerufen am 29.09.2021)
![Figur von Joseph Groll mit Leuchtschrift “Joseph Groll“ in den Vilshofener BierUnterwelten (Foto: Stadt Vilshofen an der Donau)](gp-4-joseph-groll-bier-unterwelt-vilshofen-2021.jpg „Figur von Joseph Groll mit Leuchtschrift“Joseph Groll“ in den Vilshofener BierUnterwelten (Foto: Stadt Vilshofen an der Donau)“)