Der Wiener Bierkönig | Einige Brauerfamilien haben es geschafft, so lange und kontinuierlich über mehrere Generationen erfolgreich zu sein, dass man von einer Dynastie sprechen kann; so auch die Familie Dreher aus Wien bzw. Klein-Schwechat. Sie sorgte im 19. Jahrhundert für Furore und zählte zu den berühmtesten und reichsten Brauern Europas. Aber auch in dieser Familie ragte ein Mitglied so heraus, dass ihm diese Episode in der Reihe „Giganten der Biergeschichte“ gewidmet ist.
Die kaiserlich-königliche Monarchie Österreich entfaltete aller gesellschaftlichen Probleme des Vielvölkerstaates zum Trotz im 19. Jahrhundert ihren vollen Glanz. Wien war ein Zentrum in Europa, das weit über die Grenzen Österreichs hinaus Strahlkraft hatte. Es war ein Tummelplatz für illustre Persönlichkeiten, Adel, Prominenz und … Könige. Könige? Ja, denn Wien hatte nicht nur ein gekröntes Haupt, sondern gleich mehrere – zumindest im Volksmund. Zwei davon liebten die Wiener ganz besonders: den Walzerkönig Johann Strauß (Sohn) und den Bierkönig Anton Dreher senior. Sie beide haben der Welt unvergessliche Geschenke gemacht, die nicht nur die Wiener über alles lieben, Musik und Bier.
Vater Teilnehmer des großen Schwabenzuges
Anton Drehers Vater, Franz Anton Dreher, stammte aus Pfullendorf bei Überlingen am Bodensee. 1760 fuhr er im Rahmen der Schwabenzüge mit vielen anderen Auswanderern auf einer Holzplätte (ein langes, flaches Frachtschiff) die Donau hinunter. Er blieb jedoch bereits in Wien hängen, im Gegensatz zu den vielen, die in den nach den Türkenkriegen fast menschenleeren Gebieten Südosteuropas ihr Glück suchen wollten. Auch sonst hielt sich Dreher nicht an den überlieferten Auswanderer-Ausspruch: „Die ersten fanden den Tod, die zweiten hatten die Not und die dritten erst das Brot.“
Bereits Franz Anton Dreher fand ein Auskommen, zunächst als Bierkellner und ab 1773 mit einer eigenen kleinen Brauerei in Oberlanzendorf. Es ging weiter aufwärts, sodass er am 22. Oktober 1796 bereits das Klein-Schwechater Brauhaus erwerben konnte, für den stolzen Preis von 19.000 Gulden. Auch wenn seine erste Frau bereits früh starb, konnte man Franz Anton Dreher zu dieser Zeit mit Sicherheit als erfolgreichen, wohlhabenden und zufriedenen Menschen bezeichnen. Allein, es fehlten die Nachkommen. Den ersehnten Sohn gebar ihm 1810 dann seine zweite Frau, die etwa 50 Jahre jüngere Müllerstochter Katarina Widter. Der Sohn wurde auf den Namen Anton Eugen Georg getauft. Zwei Mädchen folgten. Während Sohn Anton zum Biergiganten aufsteigen sollte, sank der Stern des Vaters.
Die verpachtete Brauerei produzierte schlechtes Bier, der Ruf litt, und die Geldentwertung in Folge der napoleonischen Kriege zehrte sein Vermögen auf. Er starb 1820 an Entkräftung im 85. Lebensjahr. Sein Erbe fiel erschreckend bescheiden aus.
Brauerlehre beim Wettbewerber
Der Sohn Anton wechselte nach dem Tod des Vaters zum Wiener Piaristengymnasium, wo er sich als begabter Schüler erwies. Sein Vormund (ein Verwandter) schickte ihn abschließend in die Brauerlehre, und zwar zur Simmeringer Brauerei Meichl, einer direkten Wettbewerberin um die Gunst der Wiener Biertrinker. Es folgte eine Fehleinschätzung, die in ihrem Ausmaß bestenfalls noch vergleichbar ist mit der Ablehnung der Beatles durch Dick Rowe, den Manager der Plattenfirma Decca, etwa 130 Jahre später – dieser argumentierte damals, dass Gitarrenbands auf dem absteigenden Ast seien. Drehers Ausbilder, der Brauereibesitzer Georg Meichl, verewigte sich nämlich mit folgendem Ratschlag an Anton Dreher in den Geschichtsbüchern: „Du wirst nie das Bierbrauen erlernen, Toni, laß es sein!“
Dennoch erfolgte etwas Gutes aus dieser Lehre, denn zu dieser Zeit lernte Anton Dreher den fast gleichaltrigen Münchner Gabriel Sedlmayr kennen, Sohn des Besitzers der Spaten Brauerei (Teil 1 dieser Reihe, BRAUWELT Nr. 8, 2021, S. 203–205).
Die beiden wurden Freunde fürs Leben. Ihre Freundschaft, ihre spektakulären Reisen, inklusive Abenteuer und Werkspionage in England, wurden berühmt und gehören heute zum festen Kanon der Biergeschichte. Um diese Reisen, die sogenannte „Walz“, überhaupt antreten zu können, musste der junge Dreher hart kämpfen, denn sein Vormund war strikt dagegen, und nur über die Mutter wurde er mit dem nötigen Reisegeld ausgestattet.
Brauwissen von der Walz daheim umgesetzt
Im Jahr 1836 übernahm er von seiner Mutter die mittlerweile doch recht heruntergekommene Brauerei Klein-Schwechat, zunächst pachtweise. Die Startbedingungen waren denkbar schlecht, nicht einmal die Verwandten wollten ihn unterstützen. Er habe sich „nach ihren spießbürgerlichen, beschränkten Ansichten zwecklos in der Welt herumgetrieben und sein Geld verschwendet“. Ein weiteres überliefertes Zitat: „Mein lieber Anton, der ist ein Narr, der Ihnen Geld leiht zu dem heruntergekommenen Geschäft“, zeugt von der großen Ablehnung, die ihm entgegenschlug. Dreher ließ sich jedoch nicht unterkriegen und setzte in Klein-Schwechat all das um, was er unterwegs gelernt hatte. Damit verschaffte er sich – genau wie Sedlmayr in München – einen technischen und technologischen Vorsprung vor seinen lokalen Konkurrenten, die ihre Biere noch nach Gefühl und nicht nach wissenschaftlichen Grundlagen produzierten. Auch in puncto Hygiene nahm es Dreher genauer als die anderen. Anfangs braute er aus Rauchmalz obergärige Biere, die man damals „bayerisch“ nannte.
Im Winter 1840 hatte Anton Dreher den Geistesblitz, der ihn in der Biergeschichte unsterblich machte: Er ging erstmals zur Untergärung über. Sein „Klein Schwechater Lagerbier“ war rötlich-dunkel, sehr vollmundig und – da es lange gelagert wurde – klarer als die anderen Biere, die es in Wien zu trinken gab. Es schmeckte wohl auch sauberer, da die bessere Hygiene Fehlaromen minimierte. Mangels eigener Lagerkapazität lieferte Dreher sein neues Bier sehr frisch an die Wirte aus, die es dann auf Anweisung der Brauerei fertig lagern mussten. Das taten die sehr gerne, denn das neue „Klein Schwechater Lager“ war eine Sensation. Das Anschlagen neuer Fässer mutete wie ein Volksfest an. Anton Dreher hatte – ohne es zu ahnen – einen neuen Biertyp geschaffen, einen Biertyp „Lager“, der, leicht abgewandelt, weltweit riesigen Erfolg haben sollte, und in seinen Ursprüngen zuletzt wieder vermehrt gebraut wird, auch in Schwechat wieder. Es war kein Zufall, dass sein kongenialer Freund Sedlmayr in München Ähnliches machte, und daher beide Freunde, Dreher und Sedlmayr, als gemeinsame Erfinder des untergärigen Bieres moderner Prägung in die Biergeschichte eingegangen sind.
Biertyp „Lager“ als Garant des Erfolgs
Es folgten zwanzig Jahre eines Aufstiegs, den es in dieser Form noch nie gegeben hatte in der Braubranche. In der Saison 1842/43 ließ Anton Dreher einen ersten großen Lagerkeller mit 6000 Eimern Fassungsvermögen errichten. Es war der erste in Österreich, der mit Eis versehen wurde. 1850 kam die erste Dampfmaschine hinzu. Dreher war so erfolgreich, dass er andere Brauereien aufkaufen konnte: in Böhmen die Brauerei Michelob (1859) und in Pest die Brauerei Steinbruch (1862). 1861 besuchte sogar Kaiser Franz Joseph die Brauerei Klein-Schwechat und hielt sich dort geschlagene drei Stunden lang auf, er blieb sogar zum Mittagessen, heißt es. Und Anton Dreher erhielt einen Orden vom Kaiser. Im selben Jahr wurde der erfolgreiche Brauherr in den Landtag und in den Reichsrat gewählt.
Durch das neue Lagerbier wurden die Wiener zu Biertrinkern. Bisweilen waren Engpässe bei den Bierlieferungen unvermeidlich und so wetteiferten die Wirte um die Gunst Drehers.
Die Schwechater Brauerei begann, Bier durch ganz Europa zu schicken – mit vorher angelegten Eisdepots – und die Biere gewannen internationale Medaillen, nicht nur bei Weltausstellungen. Anton Dreher war zum Ende seines Lebens einer der größten Unternehmer und Steuerzahler in der gesamten Monarchie (bis zu 800.000 Gulden jährlich), und er kokettierte gerne mit dieser Tatsache. Diese Eigenschaft ging auch auf den Sohn über: Bei der Wiener Weltausstellung 1873 präsentierte sich die Brauerei in einem Pavillon, der im orientalischen Stil erbaut war. Unter anderem war sogar die Höhe der entrichteten Steuerbeträge detailliert auf die Stuckarbeiten eines Torbogens aufgemalt. (An dieser Stelle sei die Anmerkung gestattet, dass dies vielleicht eine Anregung für heutige Großunternehmen wäre, hohe Steuerzahlungen als werbeträchtiges Privileg zu betrachten, nicht die erfolgreiche Steuerminimierung.)
Geschäftlicher Erfolg, privates Unglück
So erfolgreich Dreher im Geschäft war, so prunkvoll und mondän das Familienleben nach außen hin schien, privat lief es weniger gut. Bereits 1841 wurde er Witwer, und die Schwindsucht ging von seiner verstorbenen Frau Anna Wißgrill auf ihn über. Regelmäßige Kuraufenthalte halfen nur bedingt.
Trotzdem arbeitete er wie besessen am Erfolg seiner Brauerei. 1848 heiratete er erneut, seine große Liebe Anna Herrfeldt gab ihm das Jawort, und auch der ersehnte Erbe erblickte bald das Licht der Welt. Anton Drehers Gesundheitszustand jedoch wurde immer prekärer, zur angegriffenen Lunge gesellten sich immer heftigere Gichtanfälle.
Sein früher Tod am 27. Dezember 1863 ließ nicht nur Wien trauern. Trotz winterlichen Wetters begleiteten zehntausende Menschen Anton Dreher auf seinem letzten Weg. Wien hatte seine buchstäblich „schöne Leich“, das Braugewerbe hatte einen seiner ganz Großen verloren und Österreich einen seiner erfolgreichsten Unternehmer und bemerkenswertesten Persönlichkeiten.
Sohn tritt in die Fußstapfen des Vaters
Sein Sohn Anton junior, 1849 geboren, war beim Tod des Vaters noch nicht volljährig, daher übernahmen drei Freunde Drehers für die nächsten sieben Jahre die Geschäfte und Vormundschaft: Sein Anwalt Cajetan Felder sowie seine Direktoren Franz Aich und August Deiglmayr. Dieses Triumvirat war dabei überaus erfolgreich, beispielweise wurde 1869 die Brauerei in Triest dazu gekauft.
1870 ging das nach dem Tod des Vaters noch weiter vergrößerte Erbe auf den Sohn über, der dem großen Namen des Vaters keine Schande machte. Er steigerte den Ausstoß der Brauerei weiter und ließ als Erster Eisenbahnwagen für eine Eiskühlung bauen. Ein weiterer Meilenstein der Braugeschichte.
Anton Dreher jr. brachte außerdem mit Gabriel Sedlmayr die Eismaschine Lindes zu ersten Einsätzen in der Brauerei. Zum Ende des 19. Jahrhunderts stand in Schwechat die größte Brauerei des Kontinents, eventuell sogar der ganzen Welt. Anton junior lebte bis 1921, zu diesem Zeitpunkt hatte die Schwechater Brauerei bereits mit zwei anderen Brauereien fusioniert, mit der Simmeringer Brauerei Meichl (dem Schwiegervater Drehers und legendär fehleinschätzenden Lehrbetrieb des Vaters) sowie der Brauerei Mautner in St. Marx, zur „Dreher, Mautner, Meichl AG“. Von den Dreien ist heute nur noch die Schwechater Brauerei in Betrieb – in der heutigen Zeit werden in Schwechat noch über 850.000 hl Bier gebraut, aber weit mehr (über 1,1 Mio hl) abgefüllt – und gehört als Teil der Brau Union Österreich AG zum Heineken-Konzern.
Ursprünglich ist dieser Artikel in der BRAUWELT im Dossier: Giganten der Biergeschichte unseres Autors Günther Thömmes erschienen.
Quellen
- Dr. Max Delbrück: Illustriertes Brauerei-Lexikon, Berlin, 1910.
- Alfred Paleczny: Die Wiener Brauherren, Löcker Verlag, Wien, 2014.