Portraits


	
						
	
	

				
			
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Rekorde und Extreme sind immer markant und werbeträchtig: das stärkste Bier, die kleinste Brauerei, ... ein ständiger Wettkampf. So auch bei der Frage, wie es denn im Norden aussieht. Der weltweite Siegeszug des Craft Biers kennt mittlerweile fast keine Grenzen mehr. Unser Autor Günther Thömmes fragte sich: Welches Land besitzt eigentlich die nördlichste Brauerei der Welt? Nach einer „trockenen“ und eher theoretischen Recherche in Alaska, Kanada und Russland, hat er sich im hohen Norden Europas selbst ein Bild gemacht.

In den USA führt die Silver Gulch Beer & Bottling Co. aus Fairbanks in Alaska seit 1998 das Rennen an  –  Breitengrad: 64,97°. Da können selbst die beiden am extremsten gelegenen kanadischen Brauereien NWT Brewing (Yellowknife, 62,46°) und Nunavut Brew (Iqualit, 63,74°) nicht ganz mithalten. Ein Blick nach Grönland hilft auch nicht weiter, denn auch das Godthab Bryghus liegt mit 64,17° etwas südlicher als Fairbanks.

Informationen aus Russland sind schwerer zu bekommen. Aber in Norilsk, um den Breitengrad 69,3° herum, soll es eine Brauerei geben. Die würde die Amerikaner schlagen und könnte sogar mit Macks Ølbryggeri aus Tromsø, Norwegen, konkurrieren, die mit Koordinaten von 69,64° lange Zeit unangefochten den Rekord hielt, und sich bis heute (fälschlicherweise) als nördlichste Brauerei der Welt bezeichnet. Dazu später mehr ... Ins Wanken kam der Titel bereits nach einem Umzug der Brauerei ein paar Meter weiter südlich. So knapp läuft das Rennen!

 

Bei Nebel leicht zu verfehlen: Lerwick

Der erste Halt auf der Reise unseres Autors liegt jenseits des 60° Breitengrades in Lerwick, auf den windigen, schottischen Shetland Inseln. Die Hauptstadt Lerwick, idyllisch britisch, mit knapp 7000 Einwohnern, liegt an der Ostküste der größten Insel Orkney. Die Lerwick Brewery ist die nördlichste Brauerei des Vereinigten Königreiches. Von der Busstation angeblich nur ein paar Meter Fußweg bis zur Brauerei kann Nebel die Orientierung erschweren: mitten im diesigen Nirgendwo steht eine Halle mit dem Schriftzug der Lerwick Brewery. Das kleine Brauhaus liegt auf exakt 60,16°, ist also kein ernsthafter Bewerber für den Nordmeister-Titel, aber dennoch einen Besuch wert.

 

Braumeister John Pulley von der Lerwick Brewery war gerne zu einem kleinen Plausch bereit
Braumeister John Pulley von der Lerwick Brewery war gerne zu einem kleinen Plausch bereit

 

Braumeister John Pulley erzählt begeistert aus der noch kurzen Historie der Brauerei. Drei Brüder aus Lerwick mit Namen John, Jimmy und Graham beschlossen vor einigen Jahren, ihrem Notstand, auf Shetland nur lieblos gebrautes Lagerbier zu finden, Abhilfe zu schaffen. 2013 ging die Brauerei in Betrieb. Seither geht es steil bergauf, derzeit steht das Sudbuch bei ca. 100 Suden pro Jahr. Man braut mit schottischem Malz und internationalen Hopfensorten ein  –   dank Trockenhefe  –  breites Sortiment. Derzeit sechs Standardsorten und zwei Seasonals.

John Pulley bekräftigt, dass seine Shetland-Biere eine malzigere Signatur hätten als die vom Festland, und hopfiger seien sie sowieso. Am beliebtesten sind das Lerwick IPA sowie das 60° North Lager, mit denen bereits britische Taste Awards gewonnen wurden. Die unfiltrierten Biere werden in Dosen und Flaschen auf dem Festland abgefüllt, der Vertrieb erstreckt sich mittlerweile auf ganz Schottland. Auch der Online-Shop brummt, und die Touristen, die mit Kreuzfahrtschiffen in Lerwick festmachen, sorgen für eine stete Nachfrage. Wer genug Zeit mitbringt, kann auch vorab eine Brauerei-Tour buchen und am Ende den gemütlichen Taproom zur Verkostung nutzen.

 

Nächster Halt Island

Island liegt vier Breitengrade nördlicher als Lerwick. Die Insel im Nordatlantik und speziell ihre Hauptstadt Reykjavik haben bereits eine mehr als hundertjährige Brautradition, die man an der größten Brauerei Ölgerðin Egill Skallagrímsson (64,12°), gegründet 1913, festmachen kann. Aber auch als Hotspot für Craft Bier ist Reykjavik zuletzt bekannt geworden.

 

Gull, Islands meist verkauftes Bier
Gull, Islands meist verkauftes Bier

 

Die jüngste Brauerei Reykjaviks, die RVK Brewering Company (64,14°), findet man im belebtesten Viertel der Stadt. Besitzer Sigurdur ‚Siggi‘ Snorrason und seine Partner Valgeir Valgeirsson und Einar Sigurdorsson haben sich erst im Mai 2018 ihren Traum vom eigenen Bier und der eigenen Brauerei erfüllt. Braumeister Valgeir braut auf einer kleinen 5-hl-Anlage aus China ein buntes Potpourri verschiedener Biere, meist Ales, ab und zu ein Lager.

Der größte Anteil der bisher produzierten 250 Hektoliter wurde von den einheimischen Bierfans getrunken. In letzter Zeit haben zudem die Besuche von Craft Bier-Fans aus dem Ausland stark zugenommen. Beliebtestes Bier: das Session IPA. Experimentiert wird auch gerne: Zum Beispiel mit Co&Co, einem Imperial Stout mit 10 Volumenprozent, eingebraut mit Zimtbrötchen aus einer lokalen Bäckerei, der Zugabe von Kokosnuss und anschließender Fassreifung.

 

Unschlagbar nördlich: Norwegen

Nördlich von Island liegt (das zu Dänemark gehörende Grönland ausgenommen) in Europa nicht mehr viel ... Da muss man dann schon ins nördlichste Norwegen, um noch ein paar Breitengrade zu schaffen. Auf den Lofoten wird z.B. in Svolvær seit kurzer Zeit Lofotpils gebraut. Es geht aber immer noch etwas nördlicher.

Die bereits erwähnte Macks Ølbryggeri hielt am 69° Breitengrad lange Zeit den Rekord als nördlichste Brauerei der Welt. 2012 übersiedelte die Brauerei, die 1877 von einem Braunschweiger Bäcker gegründet worden war, von der Stadt aufs Land. Die leeren Gebäude der alten Braustätte stehen jedoch als markante Sehenswürdigkeit immer noch in Tromsøs Stadtzentrum. Nicht nur des Umzugs wegen ist Mack’s Rekord Geschichte, obwohl an gleicher Stelle Mack’s Mikrobrauerei den Touristen schmackhafte Biere anbietet.

 

Die alte Mack’s Braustätte im Zentrum von Tromsø. Heute befinden sich hier nur noch Microbrewery und Ølhallen
Die alte Mack’s Braustätte im Zentrum von Tromsø. Heute befinden sich hier nur noch Microbrewery und Ølhallen

 

Spitzbergen, danach kommt nur noch der Nordpol

Um die wirklich nördlichste Brauerei zu finden, muss man ganz weit hinauf reisen, bis nach Spitzbergen, auf Norwegisch Svalbard. Mehr als 1000 Kilometer nördlich vom Nordkap liegt diese einsame, kalte Inselgruppe im Nordpolarmeer, hunderte steiler Gipfel und Gletscher bieten atemberaubende Aussichten. Spitzbergen gehört mittlerweile zu Norwegen und bietet durchaus Stoff für ungewöhnliche Geschichten – und Gesetze.

Eine der beiden Brauereien aus Spitzbergen, die Red Bear Brewery in Barentsburg, wird von Russen für Russen betrieben und schert sich nicht um die norwegische Gesetzgebung. Sie ist Mischung aus Hobby- und Gasthausbrauerei und verfügt über einen diplomatischen Sonderstatus, der es erlaubt, die etwa fünfhundert Kunden vor Ort mit weit mehr Bier zu versorgen als dies mit norwegischer Lizenz möglich wäre. Diese Freiheiten der russischen Kommune sind der teilweise kuriosen Geschichte der Inseln geschuldet.

Freiheiten, die sich die dann wahrscheinlich wirklich nördlichste Brauerei der Welt erst mühsam erkämpfen musste. Die Rede ist von der Svalbard Bryggerei in der Hauptstadt Longyearbyen, der nördlichsten Stadt der Welt, bei ziemlich exakt 78° nördlicher Breite. Nördlicher geht nicht!

 

Langer Marsch durch die Instanzen

Und so extrem wie die Lage der Brauerei ist auch ihre Geschichte, die Managerin Ida Larsen mit großer Begeisterung erzählt. Den Gründer und Besitzer der Svalbard Bryggeri, Robert Johansen aus Tromsø, beschreibt sie als eine Art norwegischen Richard Branson, einen unternehmerischen Tausendsassa, der von Fluglinien bis zu U-Booten schon die verschiedensten Unternehmungen aufgebaut hatte, und dann beim Bier hängenblieb. Vom Hobbybrauen bis zum Wunsch, eine eigene Brauerei zu besitzen, war es nur ein kurzer Weg.

Allein, die Gesetzgebung erschwerte das Vorhaben. Aufgrund eines alten Gesetzes von 1928 durfte auf den Inseln nämlich kein Alkohol erzeugt werden. Nach zwei Jahren Vorplanung begann 2009 der lange Marsch durch die Instanzen. Antrag für Antrag wurde abgelehnt. Johansen ließ nicht locker. Monat für Monat mindestens ein Anruf, eine Mail, oder ein Brief ans zuständige Ministerium in Oslo. Es dauerte fast sechs Jahre, dann hatte er es geschafft: Im Jahr 2014 wurde das Gesetz tatsächlich zu seinen Gunsten geändert. Ein riesiger Erfolg, der im ganzen Land Schlagzeilen machte. Die Anlagen standen schon bestellfertig bei den Lieferanten, und bereits am 7. August 2015 wurde erstmals eingebraut, in einer funktionellen Halle am Hafen von Longyearbyen, für jeden Ankommenden leicht zu finden.

 

In der Svalbard Brewery in Spitzbergen, der wahrscheinlich wirklich nördlichsten Brauerei der Welt, wird seit August 2015 gebraut
In der Svalbard Brewery in Spitzbergen, der wahrscheinlich wirklich nördlichsten Brauerei der Welt, wird seit August 2015 gebraut

 

Bier mit Gletscherwasser

Los ging es mit einem 20-hl-Sudwerk und Tanks aus Italien, einem Dosenfüller, Malz aus Finnland, Hefe aus Deutschland, vier Mitarbeitern und jeder Menge Optimismus. Begründetem Optimismus: Von der geplanten Endkapazität von 5000 hl/a sind bereits 3500 hl erreicht. Trotz der immer noch währenden Einschränkungen der norwegischen Gesetzgebung: Alle Einwohner Spitzbergens dürfen Alkohol für den Hausgebrauch nur über eine so genannte Alkoholkarte beziehen, die vom „Sysselmannen“ ausgestellt wird, dem örtlichen Bürgermeister und Polizeichef; mit einem Maximum von 24 Dosen Bier im Monat.

 

Für Norweger gibt es auf Spitzbergen Bier nur gegen eine Ausgabekarte
Für Norweger gibt es auf Spitzbergen Bier nur gegen eine Ausgabekarte

 

Zum Glück gibt es immer mehr Tagesbesucher, sowie die Norwegian Airlines, die zur Freude der Craft Bier-Trinker neuerdings Svalbard Biere auf ihren Flügen anbieten. Der Rest, soweit vorhanden, wird auf's norwegische Festland „exportiert“, wo der hohe Bierpreis jedoch ein natürliches Regulativ darstellt.

Das Sortiment von Braumeister Andreas Hegermann-Riis ist sehr vielseitig: Elf Standardsorten (ober- und untergärig) sowie zwei Seasonals bieten für jeden Geschmack etwas. Das Hefeweizen schmeckt sehr bayerisch, auch das Pils ist rundum gelungen, und das IPA gehört definitiv zur Oberklasse. Für das Stout gab es in Norwegen bereits einen Award, wobei sich das Pils und das Pale Ale bereits als Publikumslieblinge herauskristallisiert haben. Alle Biere können in aller Ruhe in entspannter Atmosphäre vor Ort vom Fass verkostet werden. Aus gesetzlichen Gründen darf man aber nachher leider kein Souvenir-Bier mitnehmen.

Als Besonderheit erwähnt Ida Larsen noch, dass 16 Prozent ihres Brauwassers aus Gletscherwasser bestehen, was den Bieren eine besonders prickelnde Note verleihe. Nachzuschmecken sei das am besten beim Pils. Das ist wohl wahr, aber doch wieder nur relativ, da in Lonyearbyen jedes Wasser, auch das Trinkwasser für alle Haushalte, mit dieser Ration Gletscherwasser verschnitten wird. Glücklich jedoch ist, wer diese Tatsache für sein Marketing nutzen kann.

 

Nordisches Bier-Potpourri (v.l.n.r.): Lerwick, Spitzbergen/Svalbard, Lofoten
Nordisches Bier-Potpourri (v.l.n.r.): Lerwick, Spitzbergen/Svalbard, Lofoten

 Als Fazit der Nord-Exkursion lässt sich festhalten, dass die nordischen Brauer ihr Handwerk bestens verstehen und wohlschmeckende Biere brauen. Ein Besuch im Hohen Norden Europas lohnt sich für Bierfreunde deshalb unbedingt!