Portraits


	
						
	
	

				
			

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Wertebewusstsein | Wie ein Ausflug in das oberfränkische Dorf Mönchsambach sich völlig überraschend wendet und zeigt: Weltbierkultur ist überall. Inmitten der modernen Strömungen beweist Brauerei-Chef Stefan Zehendner Wertebewusstsein, geht respektvoll mit dem einheimischen Publikum um und geht trotz allem Purismus mit dem Flow. Das atmosphärische Porträt der Brauereigaststätte von unserer Autorin Sylvia Kopp macht Lust auf einen Ausflug mit Einkehr ins Oberfränkische.

Wir wären fast vorbeigefahren: Gleich hinter der scharfen Rechtskurve im oberfränkischen Mönchsambach die erste Toreinfahrt auf der rechten Seite – dort befinden sich Brauerei und Wirtschaft der Familie Zehendner. Wenn die drei Erfolgsfaktoren für Gastronomie erstens „Lage“, zweitens „Lage“ und drittens „Lage“ sind, dann trifft keiner davon auf diese Brauereigaststätte zu. Das 90-Seelen-Dorf Mönchsambach liegt rund 20 Kilometer südwestlich von Bamberg. Hierhin fährt kein Zug, hier hält selten ein Bus. Taxi war nicht zu kriegen. Die nächstgelegene Übernachtungsmöglichkeit haben wir im fünf Kilometer entfernten Burgebrach gebucht.

 

Stefan Zehendner setzt auf konstante Qualität (Foto: Werner Krieger)
Stefan Zehendner setzt auf konstante Qualität (Foto: Werner Krieger)

 

Keine zehn Autos stehen auf dem großen Hof. Wir steigen aus. Es ist ein dunkler, stiller Januarabend. „Hier ist der Hund begraben“, denke ich noch, während wir das Wirtshaus betreten. Kaum öffne ich die Tür zur Gaststube, stehen wir im prallen Leben. 50 Plätze nahezu vergeben. Am Kachelofen der Stammtisch: besetzt. Eine Gruppe hat die lange Tafel eingenommen, mehrere Familien und zwei Ausflügler aus Bamberg belegen die kleineren Tische. „Hier steppt der Bär“, korrigiere ich meine Gedanken. Wir setzen uns dazu. Teller mit Presssack, Sülze und Leberwurst, Bratwürsten und Ziebeleskäs schweben an uns vorbei. Schäumende Steinkrüge, gefüllte Weißbierpokale. Körbe mit dunklem Krustenbrot. Franken-Feeling kommt auf. Dunkelbraune, schnörkellose Vertäfelung ringsum, helle Ahorntische vor uns. Hier ist alles einfach, gradlinig und gut.

 

Die ganze Familie packt an

Stefan und Susanne Zehendner, die Inhaber, rocken gutgelaunt die Gaststube. Stefan zapft und serviert die Biere, Susanne nimmt Bestellungen auf, serviert das Essen und kassiert. Tochter Elena räumt hier und da die Tische mit ab. In der Küche hält Großmutter Barbara Zehendner alles am Laufen. Wir bestellen ein Lager, ein Export, Brotzeitplatte, Gerupften und Zwetschgenbammes. Schon der erste Bissen ins Brot beamt mich ins Kosmische: Sauerteig – kräftige Krume, knusprige Kruste – köstlich!

 

Selbstgemachtes Sauerteig-Brot
Das Brot ist selbstgebacken

 

Hausgemachtes

„Das Brot ist selbstgebacken“, sagt Stefan Zehendner nicht ohne Stolz, „Wir machen alles selbst.“ Einmal die Woche werden Sülze, Dosen- und Dürrfleisch hergestellt. Alle vier Wochen kommt ein Metzger ins Haus, um Presssack, Leberwurst und Bratwürste zu machen. Nur der Zwetschgenbammes kommt vom Metzger des Nachbardorfs, der Käse für den Gerupften stammt von einem Biobauernhof. Das alles steht nicht groß auf der Karte, das schmeckt man – Qualität, die den Inhabern wichtig ist. Die Preise spiegeln das nicht wider. Große Brotzeitplatte für zwölf EUR, großes Bier für zwei fünfundsiebzig.

 

Günstige Preise und dazu Hausmacher-Bonus
Günstige Preise und dazu Hausmacher-Bonus

 

Da zahlen wir in Berlin locker das Doppelte – ohne Hausmacher-Bonus, wohlgemerkt. „Wir könnten die Preise erhöhen, der Markt gibt das im Moment auch her“, so Stefan Zehendner, „aber dann haben wir hier nicht die Gäste, die wir wollen.“ Die Zehendners legen Wert auf ihr einheimisches Publikum. Wenn man das nicht verprellen möchte, geht man respektvoll mit Preiserhöhungen um.

 

Konstante Qualität

„Konstante Qualität“, lautet das Mantra des Oberfranken, der vor 30 Jahren die Brauerei vom Vater übernommen hat – nach einer Brauerlehre in der Bamberger Rauchbierbrauerei Spezial und der Braumeister-Ausbildung bei Doemens. Konstante Qualität – wie beim Essen, so erst recht beim Bier: Die Mönchsambacher Biersorten wie das Export (5,2 Vol.-%), das Lagerbier (5,5 Vol.-%) und den Weihnachts-Bock (7 Vol.-%) hat er mitübernommen. Diese und den später hinzugekommenen Maibock braut Zehendner nach wie vor ohne Schnickschnack aus Pilsener Malz und Hallertauer Perle – Punkt. Viel mehr, außer zusätzlich Weizenmalz, ist auch im 1989 eingeführten Hefeweizen (Flaschengärung, 5,5 Vol.-%) und in dem von seinem Braumeister Alexander Zankl entwickelten und 2011 eingeführten Weizenbock nicht drin. Konstante Qualität – wie Zehendner betont, ist es für sein Schaffen essentiell, dass er die Biere so braut, wie sie ihm am besten schmecken. Dies ist seine Hauptmotivation und war letztendlich auch der Antrieb für die Selbständigkeit. Und so sitzen wir in der Wirtschaft, trinken uns durch verschiedene Sorten und Geschmacksprofile, erfreuen und wundern uns zugleich: Wie macht er das?

 

Ungespundet

Das Besondere daran ist das Fränkische darin, wie mir Stefan erklärt. So hat er das traditionelle Dekoktionsmaischverfahren beibehalten, auch nachdem er im Jahr 2000 auf ein modernes Zwei-Geräte-Sudhaus umgerüstet hat. Es macht die Farbe dunkler und sorgt für einen kernigen Malzkörper. Das Wasser ist hart, was die Kernigkeit fördert. Die Hefe stammt von der Krautheimer Brauerei Düll. Der geheimnisvolle Franken-Kick jedoch kommt durch die Gärführung rein. „Ungespundet“, heißt das Zauberwort und bedeutet in Mönchsambach effektiv einen Spundungsdruck von 0,2 bar (Lager) und 0,5 bar (Export) bei einer Gärtemperatur um 1 Grad Celsius. Damit liegt Zehendners persönlicher Favorit, das Lager, in puncto CO2-Gehalt tief im unteren Bereich der Range (4 bis 6 g/l), die für die untergärige Brauart als typisch gilt.

 

Das Mönchsambacher Hefeweizen
Das Mönchsambacher Hefeweizen

 

Mir schmeckt’s: Das Mönchsambacher Lagerbier trifft seidig-viskos auf den Gaumen und gleitet weich in den Haupttrunk. Ruhig und gradlinig präsentiert es getreidig-kernige Noten, einen Hauch von Biskuit und eine gut eingebundene, kräftige Bittere. „Ich mag es so am liebsten. Da kommt der reine Biergeschmack gut durch“, sagt Stefan Zehendner. So schätzen es auch seine Kunden.

 

Direktvertrieb

6000 Hektoliter verkauft die Brauerei im Jahr. 90 Prozent davon in der eigenen Wirtschaft und ab Rampe. Der Rest geht an wenige, handverlesene Händler in der Region und an die umliegenden Gaststätten, die nicht brauereigebunden sind oder – wie es das Bamberger Café Abseits vor Jahren einführte – einen freien Hahn für wechselnde Gastbiere haben. Am stärksten hält der Verkauf des heißbegehrten Weihnachtsbocks die Familie auf Trab: Telefonisch trudeln im Herbst unaufhörlich Vorbestellungen ein. In logistischer Kleinarbeit ist der Siebenprozenter verkauft, noch bevor er überhaupt abgefüllt ist.

 

Zehendner arbeitet mit einem Spundungsdruck von nur 0,2 bis 0,5 bar
Zehendner arbeitet mit einem Spundungsdruck von nur 0,2 bis 0,5 bar

 

Wer Bier will, muss selbst vorbeikommen

Mit seiner puristischen Brauweise hat sich Stefan Zehendner überregional einen Namen gemacht. Doch auch hier gilt: Wer was will, kommt vorbei. So wie diese Berliner: Ludger Berges holt regelmäßig Stoff für seinen Weddinger Handel Hopfen & Malz. Auch der Steglitzer Biergastronom Sven Förster von Foersters Feine Biere legt auf seiner Süddeutschland-Tour gern einen Stopp in Mönchsambach ein. Und die Betreiber der Neuköllner Craft Bier-Bar Muted Horn standen auch schon mit offenem Kofferraum auf dem Hof. Stefan Zehendner bleibt seinem Heimatmarkt verpflichtet. Und so erteilt er Daniel Shelton vom amerikanischen Importunternehmen Shelton Brothers Inc. eine Absage, wenn dieser ein paar Hektoliter Weihnachtsbock entführen möchte. Mr. Shelton darf sich glücklich schätzen, dass er eine Kiste abbekommt. „Ich könnte locker das Doppelte verkaufen“, sagt Zehendner, aber er will nicht weiter wachsen. „Ich fühl mich wohl mit dieser Größe“, merkt er an.

 

Kein Interesse an Expansion

Größer würde bedeuten: eine Extrakraft fürs Expedieren, ein bis zwei Braumeister mehr und eine zusätzliche Bürokraft – eine ganz neue Ebene, die die Struktur des Familienunternehmens mit bisher vier Angestellten deutlich verändern würde. Viel wichtiger noch: „Ich könnte mein Bier nicht mehr so brauen, wie es mir gefällt. Das hält mich am allermeisten davon ab“, so Zehendner. Seine Biere bräuchten dann eine längere Mindesthaltbarkeit als die bisher ausgeschriebenen fünf Wochen. Um die Qualität im Griff zu behalten, müsste er kurzzeiterhitzen, und dann – ja dann wäre der typisch fränkische Geschmack futsch. „Die feine Kellernote“, wie Stefan Zehendner es nennt.

 

6000 Hektoliter produziert Zehendner im Zwei-Geräte-Sudhaus jährlich
6000 Hektoliter produziert Zehendner im Zwei-Geräte-Sudhaus jährlich

 

Faible für Sauerbiere

Umso mehr verblüfft es, dass auf der Theke gleich neben Stefans Zapfer-Posten ein schaumloser Willibecher mit einem unfiltrierten dunkelkirschroten Getränk steht. Das ist kein Mönchsambacher. Stefan grinst, ich rieche: Uhm? Ein Sauerbier? – Und was für eins: Saint Lamvinus, ein mit Merlot-Trauben vergorenes Lambic von der Brüsseler Brauerei Cantillon. Voilà, das exklusive Dienstgetränk des Franken-Brauers!

 

Neben den eigenen Bieren trinkt Zehendner gerne Sauerbiere, ein Faible das er bei seiner Biersommelier-Ausbildung entdeckte
Neben den eigenen Bieren trinkt Zehendner gerne Sauerbiere, ein Faible, das er bei seiner Biersommelier-Ausbildung entdeckte

 

Mein Feeling wackelt. Stefan schenkt ein, nimmt einen herzhaften Schluck. Da fährt man ans Ende der Welt, um dem Geheimnis der fränkischen Braukunst auf die Spur zu kommen, und entdeckt, dass der Brauereichef heimlich ein spontan mit Wildhefen und Früchten vergorenes Bier trinkt? Ich schaue mich unsicher um, bevor ich das Lambic an die Lippen hebe. „Ja, für die Gäste hier ist das nichts“, gibt Stefan zu. Das sei für ihn das Beste an der Biersommelier-Ausbildung gewesen: die Heranführung an internationale Bierstile, sagt er. Er führe den Titel nicht, das sei ihm nicht wichtig. Aber sein Faible für Sauerbiere habe er dort entdeckt. Nicht gleich auf Anhieb, spätestens aber bei der Verkostung von Rodenbach Grand Cru habe es Klick gemacht. Dass an der mobilen Theke, die in seiner Füllerei abgestellt ist, zwei Kegs Cantillon aus dem belgischen Anderlecht angeschlossen sind, hat jedoch einen weiteren Grund. Und der heißt Dino Perin.

 

Europäisches Netzwerk

Der Norditaliener nahm 2004 an einem Deutschkurs in Bamberg teil, lernte fränkisches und anderes deutsches Bier kennen und wechselte den Beruf. Vom Buchhalter zum Bierimporteur – Dino Perin brachte zunächst Düsseldorfer Alt, niederbayerisches Hefeweizen, Bamberger Rauchbier und Mönchsambacher nach Norditalien. Heute beliefert er mit seiner Firma Birra Viva von Venetien aus den ganzen Stiefel mit Spezialitäten aus dem europäischen Ausland – so auch mit Lambic aus Belgien. In Mönchsambach hat er eine Wohnung (was sinnvoll ist, bei der Anbindung). Dem Grenzgänger zwischen den Bierwelten ist es zu verdanken, dass belgisches Lambic am Privathahn des Brauers in Mönchsambach hängt. Und man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, welches Lager sich wohl Cantillon-Brauer Jean-Pierre Van Roy nach getaner Arbeit einschenkt.

 

Belgische Spezialitäten für den Privatausschank
Belgische Spezialitäten für den Privatausschank

 

„Ich hab mir fest vorgenommen, ich fahr nach Brüssel und besuch die mal“, so Stefan begeistert. Das passt, denke ich. Obwohl sich der Oberfranke und der Wallone nie gesehen haben, verbindet sie einiges. Beide sind mit Hand und Herz einer regionaltypischen Braukunst verpflichtet – den Lambics und Geuzen aus dem Sennetal und dem Pajottenland und dem Ungespundeten aus Franken. Beide haben eine klare Vorstellung davon, warum und wie sie brauen wollen: Sie entscheiden sich fürs Handwerk und gegen probate Mittel der Massenproduktion wie Kurzzeiterhitzung oder, im Fall von Cantillon, Zuckerzusatz oder künstliche Kühlung.

 

Verbindungen in die Craft Bier-Szene

Vor Craft Brauern hat Stefan Zehendner Respekt. Vor ihren Kenntnissen und Erfahrungen, was den Umgang mit Hopfen betrifft, zieht er den Hut: „Da fehlt mir fast der Mut, so viel Hopfen in einen Sud zu stecken.“ Mögen die brauhandwerklichen Werte konträr erscheinen, so weit sind die neuen Brauer von dem Puristen Zehendner nicht weg. So kommt einer der vielversprechendsten deutschen Craft Brauer aus Zehendners Stall: Benedikt Steger, Gründer und Brauer von Blech Brut, hat hier gelernt. Und Sohn Nicolas Zehendner hat gerade eine Brauerlehre beim deutschen Shooting-Star Frau Gruber Craft Brewing in Gundelfingen an der Donau begonnen.

Der Nordhesse Nico Döring vom Atelier der Braukünste, der Amerikaner Ben Howe, zurzeit Braumeister bei der dänischen Ebeltoft Gaardbryggerie, Johannes Heidenpeter aus Berlin oder Felix vom Endt von Orca Brau aus Nürnberg – alle waren schon mal hier. Sie – und wohl weniger das einheimische Stammpublikum – werden dabei sein, wenn Stefan Zehendner mit Dino Perin die Zwanze Day Celebration nach Mönchsambach holt, ein von Cantillon an vielen verschiedenen Orten der Welt gleichzeitig veranstaltetes Verkostungsfest mit Lambics. In Deutschland ist es bisher nur das Café Herman in Berlin, das da mitmachen darf. „Wir arbeiten daran“, sagt Stefan Zehendner.

Bis es so weit ist, trinke ich in Mönchsambach treu das Lager und freu mich, wie die Strömungen der Weltbierkultur in diesem kleinen Ort zusammenfließen.