Was trinkt man in Mexiko? Tequila, natürlich. Aber neben dem Nationalgetränk floriert eine Bierszene, die weit mehr verspricht. Bier ist das am meisten exportierte Produkt Mexikos, und im europäischen Raum verbindet man mit mexikanischen Bieren in erster Linie leichte Lagerbiere, wie beispielsweise das weltbekannte Corona.
Light Lager? Perfekt für das mexikanische Klima
Nicht ganz zu Unrecht, denn weil diese Biere perfekt zu dem überwiegend heißen Klima passen und sich zusätzlich hervorragend in die lokale Kulinarik einfügen, sind Lager- und Light Lagerbiere die am häufigsten zu findenden Biersorten.
Da der mexikanische Biermarkt zu 90 Prozent von den Konzerngruppen Grupo Modelo (AB InBev) und Cervecería Cuauhtémoc Moctezuma (Heineken) kontrolliert wird, sind deren etablierte Marken im Inland wie im Ausland sehr stark vertreten.
Vielfalt trotz Konzernriesen
Weil die bereits erwähnten Lager- und Light Lagerbiere geschmacklich wenig abenteuerlich sind, bleiben sie nicht allein im Sortiment beider Konzernriesen, sondern teilen sich den Erfolg überwiegend mit Vienna Lager, Pils und dunklen Bieren. Im Portfolio der zu diesem Kollektiv gehörenden kleineren Brauereien findet sich inzwischen sogar das eine oder andere IPA.
Cervecerías Artesanales: Die wahre Vielfalt
Die wahre Vielfalt, die das Land zu bieten hat, findet sich jedoch nicht bei diesen großen Brauerei-Gruppen, sondern in der Szene der Cervecerías Artesanales.
Wo vor zehn Jahren die Cervecería Minerva als einzige größere und unabhängige Craft Bier-Brauerei in Guadalajara alleine stand, findet sich jetzt eine buchstäbliche Familie von kleineren und größeren Brauereien, die das vorherrschende Sortiment mit internationalen Klassikern und lokalen Neuinterpretationen erweitern und bereichern.
Grenzenlose Kreativität
Zu behaupten, dass es bei der Entwicklung des Sortiments dieser Brauereien keine Grenzen gibt, wäre stark untertrieben. Denn das Credo lautet: Alles wird ausprobiert.
So stolpert man neben den in jeder Craft Bier-Szene verbreiteten IPAs, NEPAs und NEIPAs auch über Sour IPAs, Fruitsours, Gosen, Tequila-Ales und sogar über ein an das in Mexiko sehr verbreitete süße Milchgetränk Horchata angelehntes Horchata-Ale.
Woher diese Vielfalt?
Die Frage, warum es solche Variationen überhaupt braucht, abgesehen von der beinahe künstlerischen Kreativität dahinter, lässt sich auf zwei Arten beantworten.
Zum einen sind extreme Geschmackskombinationen ein grundlegender Teil mexikanischer Kulinarik, und zwar nicht nur in Bezug auf die Küche, sondern auch in der Trinkkultur. Die geschmacklich wenig extremen Lagerbiere werden beispielsweise in Form von Tejuino und Michelada so serviert, dass sie für den durchschnittlichen europäischen Gaumen zwar ungewöhnlich, im Allgemeinen aber um einiges spannender schmecken.
Zum anderen bieten viele dieser Stile die Möglichkeit, Biere zu kreieren, die keinen übermäßigen Hopfeneinsatz benötigen. Dieser ist in Mexiko auf natürliche Weise nicht zu finden und muss zum entsprechenden Preis aus den USA importiert werden.
Hopfeneinsatz treibt die Kosten
Bierstile, die auch mit wenig Hopfen funktionieren, sind demnach eine Möglichkeit, das eigene Sortiment zu erweitern, ohne dabei auf übermäßig hohe Kosten zu stoßen. Es findet sich zwar in praktisch jeder kleinen Brauerei das eine oder andere hopfenbetonte Bier, aber der gesteigerte Hopfeneinsatz spiegelt sich deutlich im Bierpreis wider. Dieser kommt dem deutschen im Großen und Ganzen sehr nahe und liegt vereinzelt sogar darüber.
Das durchschnittliche Monatseinkommen in Mexiko liegt bei 1033 USD (Stand 2024), der Preis hat also einen großen Einfluss auf die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers, denn die großindustriell produzierten Biere kosten im Vergleich zu Craft Bier oft nur ein Drittel, bei manchen Sorten sogar nur ein Viertel.
Taprooms und Craft Bier-Bars
Trotzdem herrscht grundsätzlich eine große Begeisterung für Bier, denn es wird nicht nur aus der Flasche genossen, sondern auch in einer verhältnismäßig großen Anzahl von Craft Bier-Bars und Taprooms. Viele gehören zwar direkt zu einer Brauerei, haben aber oft auch Biere von befreundeten Brauereien im Angebot.
Neben einer fantastischen Bierauswahl gibt es in der Regel auf die Bierauswahl abgestimmte Variationen von mexikanischem Essen, was in den grundsätzlich ästhetisch eingerichteten Räumen für ein angenehmes Gesamterlebnis sorgt.
Weil das Ausschenkmonopol in Mexiko aufgehoben wurde, darf auch jeder andere gastronomische Betrieb die Bierauswahl selbst festlegen. Dadurch haben auch viele „normale“ Bars neben dem klassischen Sortiment mindestens ein Craft Bier auf der Karte.
Überraschungen in der mexikanischen Bierszene
Stürzt man sich also kopfüber in die mexikanische Bierszene, kann man mit einigen Überraschungen rechnen. Und auch wenn manche Biere den einen oder anderen Bierfehler aufweisen, kann man entweder in den Genuss eines guten und spannenden Bieres kommen oder aber das eigene Wissen über Fehlgeschmäcker erweitern, was in beiden Fällen als Bereicherung betrachtet werden kann.
Und auch wenn es stellenweise Verbesserungspotenzial gibt, ist es doch eine Welt, die es wert ist, erkundet zu werden.
Fazit
Freilich, in Deutschland wären viele der hier gebrauten Biere mindestens undenkbar, aber vergessen wir an diesem Punkt nicht, dass wir auch gerne Limo in unser Bier mischen.
Vergessen wir aber noch weniger, worum es tatsächlich geht; und zwar, dass Verkäufer und Verbraucher sich gerne mit dem Produkt Bier beschäftigen und genau das daraus machen, was von Verbraucherseite gewünscht ist, und dass auf dieser Grundlage jedes Land anders lebt und trinkt.