Portraits


	
						
	
	

				
			

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Was macht ein Unternehmer im Ruhestand, der nicht Golf spielt? Ist doch klar, er baut sich eine Brauerei! Das zumindest machte Martin Wartmann. Gemeinsam mit seinen Kompagnons Fredy Lienhard und Andreas Schoellhorn gründete er 2015 in Fischingen, der südlichsten Gemeinde des Kantons Thurgau in der Schweiz, eine Brauerei mit dem klangvollen Namen Pilgrim.

Führt man das Wort Pilgrim auf seinen Ursprung zurück, bedeutet es so viel wie Fremdling. Ganz fremd war Martin Wartmann in der Welt des Bieres zwar nicht. Vater Willy Wartmann-Storz besaß schließlich die Actienbrauerei Frauenfeld. Allerdings waren die Wartmanns eher eine Kaufmanns-, denn eine Brauerfamilie. Die Actienbrauerei war mehr ein Anhängsel einer Immobiliengesellschaft. Trotzdem gab es immer irgendwie eine persönliche Verbindung Wartmanns zum Bier, und so ließ ihn das Bier sein Leben lang nicht mehr los. „Durch Zufall oder Schicksal bin ich in dieses spannende Produkt und die Märkte hineingewachsen“, so der Unternehmer und Vater von vier Töchtern.

Das Benediktinerkloster Fischingen – Heimat der Brauerei Pilgrim
Das Benediktinerkloster Fischingen – Heimat der Brauerei Pilgrim

 

Nischen als Geschäftsfeld

1971 stieg Wartmann in das Familiengeschäft ein. Als Brauereikaufmann VLB, Geschäftsführer und Inhaber der Actienbrauerei Frauenfeld AG entschied er sich für ein Geschäftsmodell, das sicherlich nicht jeder gewagt hätte: er besetzte Nischen. So braute er das erste Schweizer Hefeweißbier, entwickelte die erste eidgenössische Klosterbiermarke – das Original Ittinger Klosterbier, das heute von Heineken Switzerland hergestellt wird – und die ersten Schweizer Gewürzbiere. Wartmann gründete die Back&Brau-Gastronomiekette, die Internet-Firma beerculture.com AG und initiierte das Brauhaus Sternen mit einer eigenen Mikrobrauerei. Nicht alle Projekte waren von Erfolg gekrönt, aber Wartmann ist ein „Stehaufmännchen“, ein Mann, der sich auch durch vermeintliche Niederlagen nicht ins Bockshorn jagen lässt. Und er hat eine große Leidenschaft für Bier. Und so kam es, dass er mit 67 Jahren nochmals das Wagnis einer Brauerei-Neugründung einging – so entstanden die Brauerei Kloster Fischingen AG und die Marke Pilgrim.

 

Vorbild Nordamerika

Wie das „Big Beer Business“ funktioniert, konnte der Schweizer während seiner Zeit bei Heineken ausführlichst lernen. „Durch das Joint-Venture meiner Actienbrauerei mit Heineken steckte ich plötzlich bei einem Weltkonzern hinten im Rucksack. Da bekam ich die Chance zu verstehen, wie diese großen Konzerne funktionieren.“ Er beobachtet auch jetzt noch sehr genau, was auf dem nordamerikanischen Biermarkt passiert und orientiert sich mit der Ausrichtung seiner Biere an den Strömungen der dortigen Craft Bier-Szene.

 

Der Biermarkt in der Schweiz

„Der Trend geht ganz klar weg vom Industriebier. Die Leute mögen die großen Marken nicht mehr. 60 bis 70 Prozent des Gesamtmarktes laufen über die beiden Branchenriesen Heineken und Carlsberg. Im Prinzip sind das gute Biere, aber eben Industriebiere, und viele jüngere Konsumenten mögen dieses Konzept nicht mehr”, erklärt Wartmann. „Auch deutsche Biere sind in der Schweiz nicht besonders beliebt. Das wird verbunden mit Oktoberfest, bayerischen Maßkrügen und Haxn essen. Die Schweiz ist stark mediterran beeinflusst, was sich in der Kulinarik und in kleineren Gebinden und Einheiten widerspiegelt. Große Einheiten gehen stark zurück.”

 

„Wir sind authentisch“

Wartmann spricht von einer Aufsplittung zwischen zwei Konsumententypen: dem Spezialisten, der die Bierstile und -typen kennt und speziell danach sucht, und dem Bierliebhaber, der seine Region unterstützen möchte und sich dort seine Lieblingsbrauerei mit der entsprechenden Qualität sucht. „Hier suchen wir unsere Stellung in der Nische: wir sind die einzige echte Klosterbrauerei in der Schweiz, wir sind authentisch”, erläutert Wartmann.

Wenn gebraut wird, ist der Chef ganz vorne mit dabei
Wenn gebraut wird, ist der Chef ganz vorne mit dabei

Die erleuchtende Idee, ausgerechnet eine Klosterbrauerei zu eröffnen, kam dem Unternehmer während eines Meditationskurses im Kloster Fischingen. Er fand ein leerstehendes Gebäude, ideal für eine kleine Brauerei – 2000 hl jährlich. Auch der Name der Brauerei war recht schnell gefunden. „Der Wegweiser vor der Brauerei mit der Jakobsmuschel und dem Text ‚2300 km bis Santiago de Compostela‘ brachte mich auf die zündende Idee“, erklärt Wartmann.

 

Das Pilger-Team

Zum festen Brauerei-Team gehören neben den Gesellschaftern Wartmann, Lienhard und Schoellhorn, Braumeister Philipp Krickl, der sich durch seine Ausbildung und Erfahrung sowohl im Bier- als auch im Weinsegment auf die Herstellung solch spezieller Biere bestens versteht, Brauerin Johanna Häberle, sowie vier bis sechs Teilzeitbeschäftigte bzw. Rentner, die beim Abfüllen und im Online-Shop aushelfen. Die Ideen für die Biere entspringen meist dem Kopf von Martin Wartmann. Braumeister Philipp Krickl setzt sie dann um und perfektioniert sie. Krickls Erfahrung im Umgang mit obergärigen, hochvergärenden Hefestämmen ist hier von großem Vorteil, denn die anfänglich größte Herausforderung bei diesen speziellen Bieren war das Hefemanagement. „Zunächst war es schwierig, überhaupt die richtigen Hefestämme zu bekommen. Die von uns verwendeten Hefestämme sind hierzulande und auch über die großen bekannten Hefebanken eigentlich nicht zu bekommen. So setzte ich alle mir bekannten Hebel in Bewegung, flog dann selbst noch nach Amerika, um dort die entsprechenden Stämme zu beschaffen. Letztlich musste ich mich dann über amerikanische Hobbybrauer-Shops quasi an die Sache anpirschen. Mittlerweile haben wir aber in der Schweiz jemanden gefunden, der unsere Hefestämme in Zukunft propagiert, sodass wir uns auf Nachschub hundertprozentig verlassen können“, erläutert Wartmann.

Das Team der Brauerei Pilgrim im neuen Barrique-Keller
Das Team der Brauerei Pilgrim im neuen Barrique-Keller

 

Die Spezialitäten im Überblick

Das Sortiment der Klosterbrauerei umfasst derzeit verschiedene Craft Biere und saisonale Spezialitäten, wie das Waldbier, das Original Klosterbier Amber, ein India Pale Ale, das Sommerbier Cherry Ale, das Frühlingsbier Josefi Weizenbock, das Herbstbier Farmhouse Ale und ein Winterbier. Für all die „Pilger“, die das Kloster vor Ort besuchen und schnell ihren Durst löschen wollen, gibt es das in Klosterbrauereien übliche fünfprozentige bernsteinfarbene Kellerbier Pilgrim Amber.

Derzeit hat die Pilgrim-Brauerei vier Sorten Triple im Sortiment, jeweils in zwei Gebindegrößen (375 ml und 750 ml). Das Triple Blanche ist ein schlankes, hell-goldfarbenes Bier mit feiner Hefetrübung und feinporigem lockerem Schaum, fruchtig und feinem Aroma von Orangen und Zitronen, aber fast ohne Bittere. Das Triple Blonde ist eher goldblond mit leichter Hefetrübung und feinporiger lockerer Schaumkrone. Beim Triple Ambrée handelt es sich um ein bernsteinfarbenes, fein hefetrübes Bier mit feinporigem lockerem Schaum. Das Aroma erinnert an Dörrfrüchte und Gewürze, daneben fällt ein typisches Hefearoma auf. Beim Triple Noire verrät der Name bereits alles: es handelt sich um ein tiefschwarzes Bier mit einer feinporigen cremigen Schaumkrone. Die starken Röstaromen erinnern an Kaffee, Kakao und Lakritze. Neben den Triples wartet die Brauerei mit einer weiteren Spezialität auf: dem Bière Grand Cru, auch Barley Wine genannt. Das Grand Cru gibt es derzeit in zwei Varianten in limitierter Auflage: das Imperial Belgian Blonde mit wunderbarer Pfirsichnote und das Imperial Russian Stout mit intensiven Röst- und Kaffeenoten im Programm.

Braumeister P. Krickl bei der Kontrolle im Gärkeller
Braumeister P. Krickl bei der Kontrolle im Gärkeller

 

Hochpreisiges für den guten Geschmack

Dass all diese Biere nicht im Niedrigpreissegment angesiedelt sind, erklärt sich dabei von selbst. Wartmanns Konzept für die Brauerei und die Pilgrim-Biere beruht darauf, hochpreisige Gourmetbiere anzubieten, die sich durch Geschmack, Alkoholgehalt und Verpackung, Haltbarkeit und damit auch durch den Preis deutlich von den klassischen „Durstlöschern“ differenzieren. Vertrieben wurden die Biere bisher ab Brauerei oder über den eigenen Online-Shop. 2019 möchte er es schaffen, 300 000 Flaschen zum Durchschnittspreis von CHF 4,00 (3,40 EUR) zu verkaufen. Die Brauerei sollte innerhalb von fünf Jahren schwarze Zahlen liefern.

Leidenschaftlicher Brauer und Geschäftsführer bei Pilgrim: M. Wartmann
Leidenschaftlicher Brauer und Geschäftsführer bei Pilgrim: M. Wartmann

Und wenn das Konzept nicht aufgeht? Der erfahrene Kaufmann und Unternehmer hat den Notfallplan bereits in der Tasche: „Wenn unser hochpreisiges Konzept nicht funktionieren sollte, gehen wir einen Schritt zurück und werden normales Bier brauen. Die Brauerei ist ja auf Langfristigkeit angelegt, der Vertrag läuft ca. 30 Jahre, damit das Kloster und unsere Angestellten Planungssicherheit haben“, erklärt Wartmann und zeigt sich überzeugt: „Ich halte es, wie meine amerikanischen Freunde. Wir probieren es, gehen das Risiko ein und tun dafür unser Bestes.“