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Ein moderner Gärkeller mit offenen Bottichen ist hygienisch einwandfrei und automatisch CIP-bar. Er kann die Zierde eines Betriebes darstellen und ist ein sehr attraktives Werbeinstrument bei der Kommunikation einer althergebrachten, wertvollen Herstellungsweise und bei Brauereiführungen, siehe hierzu Traditionelle Bottichgärung – Teil 1: Hygiene und Werbeträger. Die Vorteile, die der Einsatz klassischer Bottiche bietet, lassen sich dabei wissenschaftlich belegen und im fertigen Bier „herausschmecken“. Im vorliegenden zweiten Teil des Artikels zur offenen Bottichgärung untersucht Maximilian Reichenbacher die Vorteile für Hefephysiologie und Sensorik.

 

Verbesserte Hefephysiologie ermöglicht mehr Führungen

Ein Argument für den Einsatz traditioneller Gärbottiche ist die dadurch verbesserte Hefephysiologie. Für die Hefe bedeutet dabei im hohen ZKG nicht etwa der hydrostatische Druck, sondern vielmehr der in den tieferen Schichten ebenfalls erhöhte CO2-Partialdruck den wesentlichen Stressfaktor. Der Stoff reduziert die Permeabilität der Zellmembranen und bremst dadurch die Stoffwechselaktivität [1]. Hierunter leiden Viabilität und Vermehrungsrate, auch lassen sich geringere Mengen freien Aminostickstoffs (FAN) sowie Glykogen messen [2]. Besonders ausgeprägt sind diese Effekte bei der Konushefe, die doch im Normalfall geerntet und zum Anstellen des nächsten Sudes verwendet werden soll. Diesem Problem kann im Betrieb durch Sieben oder Aufziehen der Hefe begegnet werden, wodurch CO2 entfernt und Sauerstoff eingetragen wird [3].

Bei obergärigen Stämmen kommt hinzu, dass sich im Bottich stets die vitalsten Zellen von der Oberfläche ernten und weiterführen lassen, was je nach Bierstil bis weit über 25 Führungen möglich macht. Im ZKG ist dies nicht möglich, da die Sprossverbände der Hefe durch die auftretenden Turbulenzen zerstört werden und die Hefe so ausschließlich von unten geerntet werden kann. Auf diese Weise ist keine positive Selektion mehr möglich: Die ZKG-Hefen leiden unter jeder Gärung und können ohne Hefebehandlung nur ein- bis maximal fünfmal geführt werden [4,5].

 

Weniger Ester und Phenole, mehr höhere Alkohole

Auch auf das Aromaprofil des Bieres wirkt sich ein erhöhter CO2-Partialdruck mitunter negativ aus. Das Bieraroma wird durch ein Zusammenspiel aus Estern, Phenolen und höheren Alkoholen bestimmt. Ester entstehen am Rande der alkoholischen Gärung durch die Veresterung diverser Alkohole und Acyl-Coenzym-A-Formen, von denen Acetyl-CoA die bedeutendste ist. Es ist für die Synthese sämtlicher Acetatester notwendig, die unter anderem für Bananen- und weitere Fruchtaromen verantwortlich sind [6,7]. Sowohl die Bildung von Acetyl-CoA als auch der Alkoholacetyltransferasen, die für den Schritt der Veresterung benötigt werden, wird durch erhöhten Druck reduziert. Der Gesamtgehalt an Estern im fertigen Bier kann dabei durch die Auswahl des richtigen Gärgefäßes (Bottich im Vergleich zum ZKG) verdoppelt werden [8].

Ein ähnlicher Zusammenhang lässt sich beim Phenolgehalt beobachten: Im ZKG erhält man im Schnitt ein Drittel weniger 4-Vinylguajakol (4VG, Nelkenaroma) als im Bottich. Der wichtigste Faktor für den 4VG-Gehalt wird jedoch mit der Ferulasäurehydrolaserast bereits im Sudhaus eingestellt [9].

 

Ester und Phenole je nach Gefäßgeometrie
Ester und Phenole je nach Gefäßgeometrie

 

Höhere Alkohole hingegen werden im ZKG sogar leicht vermehrt gebildet. Dies ist vor dem Hintergrund von Interesse, dass für den Geschmackseindruck nicht nur der absolute Gehalt einzelner Stoffe, sondern auch die Geschmacksharmonie entscheidend ist. Als ideal wird bei untergärigen Bieren gemeinhin ein Verhältnis höherer Alkohole (ohne Phenylethanol) zu Estern von etwa 2,5:1 betrachtet. Ein stärker zugunsten der höheren Alkohole verschobenes Verhältnis kann dagegen zu einem unangenehm fuseligen Geschmackseindruck führen [10].

 

Verhältnis höherer Alkohole zu Estern je nach Gefäßgeometrie
Verhältnis höherer Alkohole zu Estern je nach Gefäßgeometrie

 

Konvektion kann Aromastoffe austreiben

Durch das Absinken der Hefe in den Konus des Tanks im Lauf der Gärung bildet sich dort ein Wärmenest, welches Konvektionsströme zur Folge hat, die umso ausgeprägter sind, je höher und je schmäler der Tank ist. Eine gesteigerte Konvektion wirkt sich dabei in zweierlei Hinsicht negativ auf das Bieraroma aus: Zum einen bedeutet jede Bewegung, egal ob durch Rühren oder Umwälzung bedingt, eine physiologische Anregung der Hefe und somit ein verlängertes Verweilen in der logarithmischen Wachstumsphase. Da für die Vermehrung besonders viel Acetyl-CoA verbraucht wird, ist eine lange log-Phase für die Esterbildung ungünstig [11,12].

Zum Zweiten geht mit der Anregung auch eine gesteigerte CO2-Bildung einher, die das Ausdampfen flüchtiger aromatischer Komponenten erleichtert. CO2 wirkt hierbei als Trägerstoff, der das Entweichen hydrophober Stoffe in die Umgebungsluft erleichtert [13]. Besonders Ester sind von einer Verflüchtigung im Laufe der Gärung betroffen, Phenole dagegen entweichen nicht in nennenswertem Maße [14,15]. Hopfentypische Aromen sind diesbezüglich noch wenig analytisch erforscht, jedoch zeigen Erfahrungen, dass z.B. beim Hopfenstopfen vor der Gärung ein deutlich anderes Aromaprofil entsteht, als wenn die Gabe nach der Hauptgärung erfolgt. Die Top Note, verursacht durch leicht flüchtige Aromastoffe, ist dann bereits reduziert.

 

Im offenen Gärbottich wird die Gärung als lebendiger Prozess beim Bierbrauen mit allen Sinnen erlebbar (Foto: Christian Gresser Behälter- und Anlagenbau)
Im offenen Gärbottich wird die Gärung als lebendiger Prozess beim Bierbrauen mit allen Sinnen erlebbar (Foto: Christian Gresser Behälter- und Anlagenbau)

 

Keine fixe Obergrenze bei der Höhe

Bei den genannten Effekten lässt sich keine fixe Grenze definieren, bis wann von einem klassischen Bottich gesprochen werden kann. Als Grundsatz gilt: Je niedriger, desto weniger CO2 in den tieferen Schichten – sprich: desto besser für Hefezustand und Aromabildung. Zudem lässt sich die Konvektion durch ein geringes Höhe-Durchmesser-Verhältnis verringern, wobei sich in der Praxis Werte zwischen 1:1 und 2,5:1 bewährt haben.

Eine sinnvolle Dimensionierung ergibt sich letztlich auch in Abwägung, welche Bierstile die jeweilige Brauerei produziert und ob die zu erwartenden Vorteile die Mehrkosten wert sind: Während für obergärige Spezialitätenbiere ein niedriger Bottich schier alternativlos ist, profitieren Standardsorten bereits von einem „halbhohen“ zylindrokonischen Gärgefäß. So bleibt z.B. bei Pilsbieren durch die verminderte Konvektion im Bottich ein schöneres Hopfenaroma erhalten. Bei sehr kräftigen Sorten wie Dunklem, Porter oder Stout darf hingegen bezweifelt werden, ob die doch subtilen aromatischen Verbesserungen vom Verbraucher überhaupt bemerkt werden.

 

Literatur

1. Zufall, C., et al.: „Beeinflussung der Hefevitalität durch physikalischen Druck“, BrewingScience – Monatsschrift für Brauwissenschaft 3/4, 2000, S. 44.
2. Knatchbull, F.: „The Effect of Low CO2 Pressures on the Absorption of Amino Acids and Production of Flavour-Active Volatiles by Yeast“, J. Inst. Brew., Nr. 5 (Vol. 93), 1987, S. 422.
3. Annemüller, G., et al.: Die Hefe in der Brauerei, 3. Auflage, Berlin 2013, VLB-Verlag, S. 408 f.
4. Blümelhuber, G.: „Was ist eigentlich positive und negative Selektion?“, BRAUWELT Nr. 48, 2018, S. 1433.
5. Annemüller, G., et al.: Die Hefe in der Brauerei, 3. Auflage, Berlin 2013, VLB-Verlag, S. 69.
6. Mason, B.; Dufour, J.-P.: „Alcohol acetyltransferases and the significance of ester synthesis in yeast“, Yeast 16, 2000, S. 1288 f.
7. Yoshioka, K.; Hashimoto, N.: „Ester Formation by Alcohol Acetyltransferase from Brewer’s Yeast“, Agricultural and Biological Chemistry Nr. 10 (Vol. 45), 1981, S. 2184.
8. Back, W.: Ausgewählte Kapitel der Brauereitechnologie, 2. Auflage, Fachverlag Hans Carl, Nürnberg, 2008, S. 259.
9. Back, W.: Ausgewählte Kapitel der Brauereitechnologie, 2. Auflage, Fachverlag Hans Carl, Nürnberg, 2008, S. 264.
10. Back, W.; Narziß, L.: „Kriterien moderner Gärung am Beispiel untergäriger Biere“, Der Weihenstephaner Nr. 4, 2018, S. 154.
11. Herrmann, M.: „Entstehung und Beeinflussung qualitätsbestimmender Aromastoffe bei der Herstellung von Weißbier“, Dissertation, Technische Universität München, Freising, 2005, S. 6.
12. Peddie, H.: „Ester Formation in Brewery Fermentations“, J. Inst. Brew., Nr. 5 (Vol. 96), 1990, S. 329.
13. Schneiderbanger, H.: „Entstehung, Abbau und potentielle Verlustquellen ausgewählter Aromastoffe während der Produktion von Weizenbieren“, Dissertation, Technische Universität München, Freising, 2016, S. 23.
14. Haslbeck, K., et al.: „Flüchtige Hopfenaromastoffe im Brauprozess“, BRAUWELT Nr. 40-41, 2018, S. 1184.
15. Schneiderbanger, H., et al.: „Volatilization of Aroma Compounds Relevant for Wheat Beer in Water Under Conditions Simulating Alcoholic Fermentation“, Journal of the American Society of Brewing Chemists Nr. 4 (Vol. 69), 2011, S. 187.
16. Annemüller, G., et al.: Die Hefe in der Brauerei, 3. Auflage, Berlin 2013, VLB-Verlag, S. 397.
17. Stewart, G.: High Gravity Brewing and Distilling – Past Experiences and Future Prospects, in: Journal of the American Society of Brewing Chemists Nr. 1 (Vol. 68), 2010.