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Der Gebrauch von Kartoffeln als Malzersatz beim Bierbrauen ist natürlich in Deutschland nach dem Reinheitsgebot streng verboten. Dem Haus- und Hobbybrauer steht es auf der anderen Seite frei, mit Malzersatzstoffen zu experimentieren. Warum nicht einmal Kartoffeln? Horst Dornbusch stellt uns ein etwas anderes Bierrezept vor. Besonders dazu zu empfehlen: ein schöner Braten mit ... rohen Klößen!

Es ist ein wenig überraschend, dass man in der Mitte des 19. Jahrhunderts einen brautechnisch interessanten und recht ausführlichen Aufsatz auf Deutsch über die verschiedenen Brauverfahren von Kartoffelbier findet. Die Schrift stammt von Dr. Chr. H. Schmidt aus dem Jahre 1853 und wurde im 69. Band einer Serie mit dem Titel Neuer Schauplatz der Künste und Handwerke veröffentlicht. Dort erfahren wir: „Die Kartoffeln enthalten im mittleren Durchschnitte 18 Prozent Stärkemehl, 4–5 Procent Faser- oder Zellstoff und 4–5 Procent in ihrem Safte auflösliche Theile, wie Eiweiß, Schleim, Salze und andere ihnen zum Theil eigenthümliche Stoffe, welchen sie hauptsächlich ihren besonderen Geruch und Geschmack verdanken, die sich aber, ihrer Auflöslichkeit wegen, von den zerriebenen Kartoffeln vollständig trennen lassen. Wenn sich nun aus dem Stärkemehl der Kartoffeln dieselben Stoffe erzeugen lassen, wie aus dem Stärkemehl des Getreides und des Malzes, so können auch die wesentlichen Bestandtheile des Bieres aus Kartoffeln oder deren Stärkemehl gewonnen werden, sobald die Umänderung dieses Stärkemehls in Gummi und Zucker durch das Diastas bewerkstelligt wird.“

 

Kartoffeln sind stärkereich und lassen sich gut vermaischen (Foto: Jan Antonin Kolar on Unsplash)
Kartoffeln sind stärkereich und lassen sich gut vermaischen (Foto: Jan Antonin Kolar on Unsplash)

 

Die Schüttung

Die „Umänderung“ des Kartoffelstärkemehls ist natürlich in einer Maische möglich, da das Gerstenmalz mehr Diastase enthält, als zur Verzuckerung der Getreidestärke notwendig ist. Dr. Schmidt erläutert weiter, dass, bezogen auf die Diastase in der Praxis „100 Pfund Gerstenmalz vertreten werden können durch 200 Pfund rohe Kartoffeln“ und dass ein Pfund Kartoffeln nach Stärkeverlusten während der Verarbeitung etwa die gleiche Menge Stärke zur Maische beiträgt wie ein Pfund Gerstenmalz. Er fügt weiterhin hinzu, dass „die Erfahrung gelehrt [hat], daß die Hälfte des anzuwendenden Malzes durch Kartoffeln ersetzt werden könne, ohne die Eigenthümlichkeit des Bieres so bemerkbar zu beeinträchtigen, daß es dadurch an Güte verliert“. Wir folgen dem Rat des guten Doktors und beschränken uns in dem hier konzipierten Rezept auf 40 Prozent Kartoffeln bezogen auf das Gewicht der Malzschüttung.

 

Ein bisschen Biologie und Biochemie

Für Brauer, die nicht dem Reinheitsgebot unterliegen, sollte die Möglichkeit, stärkereiche Kartoffeln in der Maische zu verwenden, eigentlich recht logisch sein. Die Kartoffel ist eine Pflanze mit Ursprung im Süden Perus und Nordwesten Boliviens. Die Spanier brachten sie zum ersten Mal in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (also nach der Verkündigung des ursprünglichen Reinheitsgebotes) nach Europa.

Der botanische Name der Kartoffel ist Solanum tuberosum, und ihre Stärke heißt Amylum solani, nach dem griechischen Wort amylum für Stärke, welche als molekulare Amylose-Ketten oder als baumartige Amylopektin-Verzweigungen auftritt. Wenn Stärke Wasser absorbiert, expandiert sie; und bei hohen Temperaturen verkleistert sie, was sie der schnellen enzymatischen Verzuckerung zugänglich macht. Zum Beispiel verkleistert Gerstenstärke bei etwa 70 °C bis 80 °C; Maisstärke bei etwa 65 °C bis 75 °C. Aber Kartoffelstärke bereits bei 55 °C bis 60 °C. Damit liegt die Verkleisterungstemperatur der Kartoffelstärke definitiv im Aktivbereich der Beta-Amylase von etwa 40 °C bis 70 °C, wie auch der Alpha-Amylase von etwa 60 °C bis 80 °C.

 

Verarbeitung der Kartoffeln

Da Kartoffelstärke beim Temperaturhochfahren der Maische früher verkleistert als Gerstenstärke, ist deren Verzuckerung recht gründlich, und Biere mit Kartoffeln in der Maische sind relativ dünn im Körper und trocken im Abgang. In der Maische können Kartoffeln nicht nur roh, sondern auch verarbeitet Anwendung finden. Schon Dr. Schmidt verweist beim Gebrauch von Kartoffeln als Malzersatz auf verschiedene Präparate wie „Kartoffelstärkesirup, reine Kartoffelstärke, Kartoffelmehl oder die Kartoffeln in Substanz“. Der Einfachheit halber verwenden wir in dem hier vorgestellten Rezept ganze „Kartoffeln in Substanz“. Der Trick bei der Kartoffelbierherstellung mit rohen Kartoffeln ist jedoch die Eliminierung der unangenehmen Geschmackskomponenten von ungekochten Kartoffeln. Dies erreicht man, ähnlich wie die Geschmacksverfeinerung von Getreide in der Mälzerei, durch stundenlanges Weichen und mehrfaches Wechseln des Weichwassers. Dr. Schmidt empfiehlt daher eine vergleichbare Methode für rohe Kartoffeln: Die rohen „Kartoffeln werden aufs Zarteste gerieben“, schreibt er, „und der Brei [wird] dann mit Wasser wiederholt rein ausgewaschen.“

 

Fritzens Kartoffelbier der Klosterbrauerei Neuzelle in Brandenburg wird aus einer Pils-Maische mit einem guten Zusatz von Kartoffelsole gebraut
Fritzens Kartoffelbier der Klosterbrauerei Neuzelle in Brandenburg wird aus einer Pils-Maische mit einem guten Zusatz von Kartoffelsole gebraut

 

Maischverfahren

In einem modernen Braubetrieb können die rohen, zerkleinerten Kartoffeln vom Fruchtwasser befreit werden, indem sie im Läuterbottich ausgiebig mit Wasser verrührt werden. Dann wird der Brei quasi „abgeläutert“, wobei ein Teil der Kartoffelstärke leider verloren geht. Der Brei wird so oft (vielleicht zwei- bis dreimal) im Läuterbottich „gewaschen“, bis das Wasser ungefärbt abläuft. Als nächster Schritt wird das geschrotete Malz mit dem relativ entwässerten Kartoffelbrei vermischt. Das Ergebnis ist eine ziemlich dicke Maische, für die Dr. Schmidt eine niedrige Einmaischtemperatur von etwa 31 °C bis 37 °C (also unterhalb der Amylase-Aktivbereiche) empfiehlt. Dann kommt ein langsames Hochfahren der Maischetemperatur per Infusion oder Dekoktion auf etwa 62 °C bis 63 °C, also auf ein Temperaturniveau, wo beide Amylase-Gruppen aktiv sind. Auf diesem Plateau empfiehlt Dr. Schmidt eine Rast von etwa 90 Minuten. Die Malzschüttung eines Kartoffelbieres, so Dr. Schmidt, darf aus Gerstenmalz oder aus einer Mischung von Gersten- und Weizenmalz bestehen. Für eine reine Gerstenmalzschüttung empfiehlt er unter anderem eine Malzmischung, die „6 Theile braun, 2 Theile bersteinfarben und 2 Theile blaß gedarrt“ ist. Daraus „erhält man [dann] ein dem Porter ähnliches Bier.“

Dr. Schmidt schweigt sich über die Abläutertemperatur aus, wie auch über die Stammwürze eines Kartoffelbieres. Daher sollten wir uns wohl an Standardwerte halten und bei etwa 76 °C abläutern, bis die Stammwürze, unter Einbeziehung der Verdunstung während einer Stunde Kochzeit, bei Kochende etwa 12 Prozent nicht überschreitet. Beim Würzekochen kommt nur eine kleine Menge von Hopfen in die Pfanne – vielleicht abgemessen für 15 BE. Die abgekühlte Würze kann untergärig oder obergärig vergoren werden. Ein Kartoffelbier ist nach Dr. Schmidt immer „lieblich“, besonders wenn es blond und mit viel Weizenmalz gebraut wird. Das hier konzipierte Rezept verlässt sich weitestgehend auf die Ausführungen dieses Kartoffelbierfachmanns aus dem 19. Jahrhundert.

 

Das sagt das Rezept

Stammwürze: 12 Prozent
Restextrakt: 2,75 Prozent
Bittereinheiten: 15 BE
Farbe: 5.2 EBC
Alkohol: 5 Volumenprozent

 

Zutaten (gerundet) bei einer Sudhausausbeute von rund 65 Prozent für 20 Liter:

Malz Prozent kg
Kartoffeln (roh) 40 1,55
Pilsner Malz 35 1,35
Helles Weizenmalz 20 0,77
Münchner Malz II 5 0,20
Gesamtschüttung 100 3,87

 

Hopfen Prozent Alpha g
Bitter: Magnum 13,5 7

 

Hefe Wahlweise ober- oder untergärige Hefe

 

Dekoktion oder Infusion. Kartoffeln reiben und wie oben beschrieben im Läuterbottich mehrmals waschen. Dann mit der geschroteten Malzschüttung bei etwa 31 °C bis 37 °C einmaischen. Temperatur per Infusion oder Dekoktion auf etwa 62 °C bis 63 °C hochfahren. 60 min Rast. Temperatur auf 72 °C hochfahren. 20 min Rast. Temperatur zum Abläutern auf etwa 76 °C hochfahren. Ausgiebig im Kreislauf pumpen, bis die Würze blank läuft. Abläutern. 60 min kochen. Bitterhopfen nach 15 min. Mit beliebiger obergäriger oder untergäriger Hefe anstellen und fertig vergären. Beliebig mit CO2 anreichern. Abfüllen.

 

Das sagst du!

Kartoffelbier ... bei diesem Rezept dürften sich die Geschmäcker spalten. Mit welchen Malzersatzstoffen hast du bereits experimentiert? Gibst du auch heimlich geröstete Haferflocken zur Maische, um für ein bisschen Schaumstabilität zu sorgen? Für Eltern von Kleinkindern der Geheimtipp: Schmelzflocken für den Baby-Brei eignen sich ganz vorzüglich dazu, helle Böcke einzubrauen ... Nein! Das geht zu weit? Wir freuen uns auf deine Kommentare unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.