Markus Raupach war in Norwegen auf den Spuren der Kveik-Hefe unterwegs und verabredete sich im kleinen Örtchen Hornindal, gelegen im gleichnamigen Tal (und am Hornindalsvatnet, dem mit über 500 Metern tiefsten See Europas), für einen Brautag mit Stig Seljeset.
In der Bierwelt steht der Ort für das Brauen mit Kveik-Hefen, die hier seit Jahrhunderten kultiviert werden. Für GradPlato ist er der Sache auf den Grund gegangen.

Schon die Anreise ist spektakulär, das Boot fährt den Fjord hinauf, rechts und links erheben sich die Berge auf bis zu 1500 Meter Höhe, Wasserfälle ergießen sich von den weißen Spitzen und stürzen ins Meer. In den tiefen Schluchten dieser norwegischen Fjorde finden sich unzählige kleine und kleinste Dörfer und Siedlungen, die sich meist aus Bauernhöfen mit Schafherden und Getreidefeldern entwickelt haben.
Zusammen 100 Jahre Brauerfahrung
Der 65-jährige Norweger begrüßt die Besucher auf dem Hof seines Bruders Odd. Gemeinsam haben sie über 100 Jahre Brauerfahrung und mit ihrer „Stalljen“-Hefe einen eigenen Eintrag in der Farmhouse Yeast Registry. Das Brauen ist seit mindestens 2000, möglicherweise aber sogar schon über 6000 Jahren Tradition in dieser Region. Auch Vater und Großvater der beiden Gastgeber standen bereits an dem großen Kupferkessel, der heute wieder über dem offenen Feuer hängt.

Darin befinden sich gut 100 Liter Wasser und ein großes Bündel Wacholderzweige. Das Wasser wird zum Kochen gebracht und nimmt dabei etwas Farbe und natürlich die Aromen aus dem Wacholder auf. Während der Kessel immer heißer wird, bereiten die beiden Brüder den zweiten Kessel vor. Ein dichtes Geflecht aus Wacholderzweigen wird als spätere Läuterhilfe am Boden platziert, direkt vor dem kleinen Auslaufloch, durch das dann später die Würze fließen wird. Das Wasser im Kessel kocht mittlerweile, also holt Stig einen großen Eimer, füllt ihn mit dem Wacholderwasser und übergibt ihn an Odd, der ihn in den zweiten Kessel entleert. Es dampft und zischt, und doch kühlt sich das Wasser leicht ab.
Ein Bett aus Wacholderzweigen als Läuterhilfe
Auch wenn die Brüder wie ihre Vorfahren kein Thermometer verwenden, wissen sie aus Erfahrung, dass die Temperatur etwas oberhalb von 70 Grad liegt, als Stig aus einem weiteren Eimer das geschrotete Malz in das Wasser gibt. In mehreren Gaben sind es 25 Kilogramm helles Gerstenmalz, die auf diese Weise eingemaischt werden. Ein dicker Ast dient als Rührstock, in der Luft mischen sich süße Malzaromen mit dem Duft von Wacholder und Holzfeuer.
Etwa eine Stunde dauert der Maischprozess, bis Stig zum ersten Mal den kleinen Hahn am unteren Ende des zweiten Kessels öffnet und dicke, dunkle Bierwürze in einen Eimer fließt. Das Ergebnis schmeckt sehr süß, ist aber noch recht trüb, weswegen die Brüder den ersten Eimer Würze gleich wieder oben in den Kessel geben. Mittlerweile verrichten die Wacholderzweige ihre Arbeit und die weitere Würze läuft unten klar heraus, oben kommt unterdessen ein erster Nachguss mit heißem Wasser aus dem Kupferkessel hinzu – weitere werden folgen. Während der Eimer sich mit Würze zu füllen beginnt, gibt Odd 150 Gramm getrockneten Hallertauer Doldenhopfen in einen Leinensack, befestigt ihn am oberen Ende des Eimers und gibt ihn in die Würze.

Der Hopfen gibt dem Bier zusammen mit dem Wacholder seine Haltbarkeit und eine angenehme Bittere, ganz wie bei anderen besser bekannten Bierstilen wie Pils oder Helles. Eimer für Eimer mit Würze landen schließlich in einer Milchkanne mit einer besonderen Konstruktion. Stig und Odd haben aus einem handelsüblichen Wasserschlauch eine Wasserkühlung gebaut, mit der sie die Würze von anfänglich ca. 50 Grad auf 34 Grad Celsius herunterkühlen. In mehreren Chargen landet sie schließlich im Keller des Hauses in einem weiteren großen Kessel, der die 75 Liter Würze gut aufnehmen kann und noch ausreichend Platz für die Aktivität der Hefe bietet.
Anstellen bei 34 Grad
Parallel holt Stig die Behältnisse mit seinem Lieblingshaustier heraus: der Hefe. Eigentlich reicht eines von beiden, doch heute wird er zur Feier des Tages Trocken- und Flüssighefe geben. Beides hat seine Tradition in Norwegen, mittlerweile hat sich die getrocknete Form durchgesetzt. Auf diese Art und Weise kann man die Hefe direkt aus der Gärung konservieren, kühl lagern und mehrere Jahre aufheben. Beim nächsten Sud kommen dann einfach einige Flocken in die Würze und kurze Zeit später startet die Gärung erneut.
Die flüssige Hefe ist hingegen die früher üblichere Variante. Dabei entnehmen die Brauer während der Gärung aktive Hefe, geben etwas Wasser hinzu und verschließen ein Gefäß mit dieser Mischung. Diese Hefe wurde in den alten Tagen nicht nur für den nächsten Biersud verwendet, sondern zum Beispiel auch zum Backen von Brot. Stig macht das ab und zu auch heute noch.

Um die Trockenhefe zu aktivieren, nimmt Stig eine Schüssel mit auf 34 Grad temperierter Würze und bricht einige Flocken aus seinem Beutel hinein. Die Schüssel steht etwa für eine halbe Stunde neben dem Kessel am Feuer, wodurch die Temperatur konstant bleibt. Die Hefe regt sich bereits und zeigt sichtbar Aktivität.
Anschließend begibt sich die gesamte Brauergruppe in den Keller zum Würzebehälter und versammelt sich in einem Kreis darumherum. Stig zählt bis drei und gibt die angestellte Hefe hinein. Alle stoßen zeitgleich einen lauten Schrei aus, „Yeast Scream“ genannt. Eine wirkliche zeremonielle Bedeutung hat das nicht mehr, aber es macht einfach Spaß, weiß Stig zu berichten. Früher wollte man so böse Geister vertreiben oder die guten in der Hefe wecken. Der Vorgang wiederholt sich, als er auch die flüssige Hefe zur Würze gibt. Das wird ein besonders guter Sud, ist er sich sicher.
Innerhalb von zwei bis vier Tagen wird die Gärung abgeschlossen und das Bier trinkfertig sein. Der Stolz auf sein Bier ist Stig übrigens anzusehen. Die Antwort auf die Frage, wer sein Lieblingsbrauer in der Region ist, lautet selbstbewusst: „Ich sehe ihn jeden Morgen im Spiegel!“